Eifel-Krieg
und entdeckte, dass Tessa meinen Couchtisch vorübergehend zum Büro umfunktioniert hatte. Sie hatte zwei Quadratmeter Papiere ausgebreitet und schien sich darin auszukennen. Tessa war so in ihre Arbeit vertieft, dass sie mich kaum zur Kenntnis nahm. Ich setzte mich also auf die Terrasse und sah dem Wetter zu.
Später kam sie dann heraus und sagte: »Ich habe dein Protokoll über den Besuch der Tilly Hahn gelesen. Warum, glaubst du, redet sie so viel? Hat jemand sie geschickt?«
»Das glaube ich auf keinen Fall. Ich hatte wahrscheinlich nur Glück. Stell dir die Situation vor, in der sie lebt: Die Männer bestimmen die Politik, und sie bestimmen den Alltag. Da spielt die Tilly nur eine untergeordnete Rolle. Aber sie ist immerhin die Mutter des Chefs. Und mit der redet man nicht offen. Sie möchte aber gern reden, sie möchte einfach mal kommentieren, wie das Leben auf diesem Hof läuft. Da gab es diese Stelle, an der sie mich mit viel Spott fragte, ob ich so etwas wie ›Reine Rasse Eifel‹ denn ernst nehmen könne. Kann ich nicht, und sie kann das auch nicht, und wir lächelten uns zu. Ich würde diese Frau niemals zitieren, und ich glaube auch, dass sie das weiß. Ich würde sie damit verraten.«
»Ich habe mit einer Frau beim Bundeskriminalamt gesprochen und ihr geschildert, welcher Wust an Gerüchten über diesen Eulenhof im Umlauf ist. Also Judenhass und Fremdenhass und ›Deutschland, Deutschland über alles‹. Und gleichzeitig wilde Gerüchte über Geschäfte mit Frauen und Drogendealerei und
Hells Angels
als Security. Sie sagte, das sei ein Trend. Rassisten seien heutzutage durchaus in der Lage, allen Türken den Tod anzudrohen, aber gleichzeitig jeden Tag ihre Köfte und ihr Fladenbrot zu kaufen. Und noch immer haben die Nazis eine panische Angst, die Deutschen könnten als nordische Rasse untergehen, auch wenn wir gar nicht nordisch sind. Sie haben Angst vor Überfremdung, und sie wollen mit anderen Nazis in anderen Völkern zusammengehen, um diese Gefahr zu bekämpfen. Das war bei Hitler so, und bei den kleinen Hitlern von heute gilt das auch. Ein Norweger erschoss deshalb über sechzig Menschen.«
»Glaubst du, du kannst etwas ausrichten?«
»Das weiß ich nicht, aber ich lasse mich nicht entmutigen. Wir müssen etwas tun, das sind wir diesem Land schuldig. Wegen der Morde und der vielen Gerüchte werde ich ihnen im Pelz sitzen wie die Laus, die keine Ruhe gibt.«
»Übertreibe es nicht. Diese Leute sind gefährlich.«
»Ich bin Staatsanwältin!«, erklärte sie hart.
»Sie werden dich töten, wenn sie können«, erwiderte ich genauso hart.
Sie starrte mich an, und in ihren Augen war plötzlich ein Begreifen. Sie nickte langsam: »Das werden sie wohl, wenn sie können, ja.« Dann ging sie wieder an ihre Arbeit.
Ein wenig später rief mich Bodo Lippmann an, der Bauer, der ganz in der Nähe des Eulenhofs lebte. Er sagte: »Ich hätte da was für dich. Da hat jemand was beobachtet, vorgestern am Abend.«
»Um wen geht es?«
»Häh aus Nohn.«
»Häh?«
»Häh. Genau. Der wohnt neben der Renaultvertretung von Schäfers.«
»Und was hat er beobachtet?«
»So genau weiß ich das nicht. Er redet ja auch nicht viel.«
»Da bin ich aber beruhigt.«
Ich teilte Tessa mit, dass ich zu Häh fahren wollte. Sie ließ sich nicht stören, sie hörte gar nicht zu.
Ich bewegte also mein Auto nach Nohn und fragte bei Renault, wo ich den Häh finden könnte. Sie zeigten mir das Haus. Es stammte aus den Fünfzigern und war eines dieser winzigen Behausungen unter einem spitzgiebligen Dach. Es schien zu eng, darin zu wohnen, und man hatte sicher kaum Platz für ein Klo. Ich wusste aber aus langer Erfahrung in der Eifel, dass früher in einem solchen Gemäuer oftmals Eltern mit ihren sechs Kindern gehaust hatten. Manchmal auch noch die Großeltern und dieser oder jener Onkel. Offenbar waren die Bewohner nachts gestapelt worden.
Eine alte Frau öffnete mir und schaute mich freundlich an.
»Guten Tag, ich bin Siggi Baumeister. Zu Häh möchte ich gerne.«
»Dann kommense man durch«, sagte sie nur.
Häh saß am Küchentisch. Er war ein alter Mann, klein und schmal, vielleicht fünfundsiebzig Jahre alt. Er trug einen verwaschenen Blaumann und hatte auf dem Kopf eine Arbeitermütze, unter der silbriges Haar hervorschaute. »Wat willste denn, Jung?«, fragte er.
»Eine Auskunft über das, was sie vorgestern Abend beobachtet haben«, sagte ich.
»Wat biste denn? So was wie Polizei?«
»Nein.
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