Eifel-Krieg
greifen. Kurzum, es war sehr plötzlich still, aber man dachte ständig: Möglicherweise versäume ich jetzt etwas, möglicherweise passiert da draußen irgendetwas, das ich hautnah mitkriegen sollte. Das war Stress, selbstgemachter Stress.
Da hockte ich also, hatte gut zwei Stunden Zeit, ehe ich auf einem Autobahnrastplatz eine Prostituierte treffen sollte, und spürte, wie ich hastiger atmete. Das waren so die Momente in meinem Leben, die ich liebte, weil sie zeigten, dass ich zuweilen strohdumm war.
Ich stopfte also eine Pfeife, eine Jahrespfeife aus 2013, ein durchaus eigenwilliges, tiefbraunes Stück Holz mit schöner Maserung. Ich zwang mich zur Ruhe, ich nahm eine nicht geöffnete Dose edlen Tabak von
Planta
, freute mich auf den Genuss und sagte mir: Sachte, Baumeister, sachte! Komm runter auf den Teppich, es ist alles gar nicht so eilig, das Leben kann zuweilen auch durchaus langsamer laufen, und du verpasst trotzdem nichts.
Dann schrillte mein Festnetzanschluss und versaute meinen Start in die erhoffte Langsamkeit. Ich griff zum Hörer und schnarrte: »Baumeister hier, was kann ich für Sie tun?«
»Mein Name ist immer noch Raimund Oster. Sie erinnern sich?«
Ich war im ersten Moment überfordert und sagte: »Helfen Sie mir.«
»Ich hatte wie Sie eine tote Katze bei mir im Hauseingang hängen. Und ich hatte mit einem Siebzehnjährigen zu tun, der bei einer Diskussion von mir verlangte, Beweise für die Ermordung von sechs Millionen Juden vorzulegen.«
»Ich bin wieder im Bilde. Sie sind Pfarrer in Gerolstein, wir hatten telefoniert. Und dieser Siebzehnjährige wohnt auf dem Eulenhof. Richtig? Entschuldigen Sie, meine Vergreisung beschleunigt sich.«
»Ich rufe Sie an, weil ich wissen möchte, wie es Ihrem Freund geht.«
»Danke, nicht so gut. Es sah anfangs gut aus, aber dann erlitt er im Krankenhaus eine Hirnblutung. Und wie das ausgeht, steht in den Sternen.«
»Ich werde für ihn beten«, bemerkte er trocken.
»Ich danke Ihnen«, erwiderte ich.
Er wartete eine Weile, dann bemerkte er vorsichtig: »Da wäre noch etwas, das eventuell wichtig sein könnte.«
»Nehmen Sie keine Rücksicht«, ermutigte ich ihn.
»Mich lässt die Sache nicht los, und mir ist ein Zusammenhang eingefallen, der für Sie von Interesse sein dürfte. Dieser Oliver ist ja nur ein Teil des Trios auf dem Eulenhof. Sein Bruder Hannes ist der andere Zwilling. Und dann gibt es eine Sechzehnjährige namens Meike.«
»Richtig. Diese Meike, so sagte mein Freund im Krankenhaus, hat besonders wild und heftig zugeschlagen.«
»Das habe ich auf Facebook gelesen. Aber die drei waren einmal vier. Ich nehme an, das wissen Sie nicht.«
»Davon habe ich nichts gehört«, bestätigte ich.
»Ein gewisser Kevin gehörte dazu, ein Siebzehnjähriger aus Mürlenbach, hat etwa ein Jahr lang auf dem Eulenhof gelebt.«
»Wie kam es dazu?«
»Die Eltern trennten sich. Es gab sehr viel Streit. Kevin hat das nicht ausgehalten. Irgendwann haben die Leute auf dem Eulenhof gesagt: ›Dann kann er bei uns wohnen, bis sich sein Zuhause wieder beruhigt.‹«
»Also erweiterte Nachbarschaftshilfe?«
»Richtig«, sagte er. »Erwartet man eigentlich nicht von so einer abgeschotteten Gruppe, aber Kevin wohnte dann auf dem Eulenhof. Die Jugendlichen dort sind auf die Idee gekommen, Kevin zu helfen. Jetzt lebt er bei seiner Mutter. Kann ich Ihnen die Adresse und die Telefonnummer geben? Sie heißt Kaufmann, Grete Kaufmann.« Er gab mir die Telefonnummer, die ich auf einem Zettel notierte. »Vielleicht lohnt sich ein Gespräch. Und dann ist noch etwas wichtig: Sie sollten zunächst mit der Mutter reden, nicht mit Kevin. Der Junge ist schwer nervös und reagiert heftig.«
»Was wird Kevin denn erzählen?«
»Wie Jugendliche dazu erzogen werden, Menschen halb totzuprügeln. Die Betonung liegt auf halb.«
12. Kapitel
Ich ging sorgsam vor, damit mich keine Überraschung treffen konnte. Ich fuhr auf die A1 Richtung Köln, wendete dann an der Ausfahrt Nettersheim und fuhr zurück, um mir den Parkplatz in Fahrtrichtung Eifel genau anzuschauen. Er hieß
Grüner Winkel
.
Der Platz war groß und bei Truckern, vor deren Durchquerung der Eifel, sehr beliebt. Der Grund war ganz einfach: Man hatte beim Ausbau des Rastplatzes schwere und hohe Schallwände zur Autobahn hin aufgestellt, sodass der Platz verhältnismäßig ruhig war. Es war üblich, dass es hier abends gegen einundzwanzig Uhr schon so voll war, dass selbst der gemeine PKW-Fahrer nur mit Glück einen
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