Eifel-Krieg
forderte, den Mord an sechs Millionen Juden zu beweisen? Der behauptete, der gesamte Holocaust sei getürkt worden, eine Fälschung! Sollte man ihn etwa bestrafen? Bestrafte man auch einen mittellosen Schauspieler, der gegen ein Honorar Texte aus Hitlers
Mein Kampf
vorlas? Bestrafte man den, der das anzettelte? Und was, wenn man über die Grenze in die Lächerlichkeit rutschte?
Ich machte mich daran, meine Erlebnisse mit Gaby Drechsler und ihrem Kalli schriftlich festzuhalten. Es bereitete mir große Mühe, in diese Tiefen menschlicher Existenz hinabzusteigen. Da wurde eine Frau, die ohnehin eine schwierige soziale Stellung hatte, als »Material« bezeichnet und auch genauso behandelt; benutzt, beschmutzt, weggeworfen.
Ich brauchte zwei Stunden, um das alles aufzuschreiben, und ich wusste nicht, ob das im Rahmen des Eulenhofs überhaupt eine Rolle spielen würde. Vielleicht war es nur Beiwerk, zu wenig Fleisch an einem dünnen Knochen. Aber es zeigte in jedem Fall die Verachtung, mit der man auf dem Eulenhof den Menschen begegnete, die nicht die Gnade genossen, zur Elite zu gehören.
Ich schickte auch diesen Text wieder an Kischkewitz, an Tessa und an Rodenstock. Natürlich wusste ich nicht, wann es ihm erlaubt und möglich sein würde, seine E-Mails abzurufen, aber es gab mir dennoch ein gutes Gefühl, die ganzen ungeschminkten Informationen rund um den Eulenhof in Rodenstocks Postfach zu wissen.
Als Tessa anrief, war es etwa elf Uhr. Draußen war schönes Wetter; viel Sonne, ein paar Schäfchenwolken, es hätte ein idealer Eifeltag werden können.
»Du musst dich festhalten«, sagte sie düster. »Es gibt ein Schreiben des Eulenhofs an das Ministerium für Bildung in Mainz, an die Leitung eines der Gymnasien in Daun und an alle Lehrer des Gymnasiums. Alle Briefe per Einschreiben. Ich lese vor:
Wir sind empört über die vielen vorgetragenen Bemerkungen in den Oberklassen Ihrer Schule, mit denen drei Gymnasialschüler der oberen Klassen in Daun öffentlich beleidigt wurden, sie seien, so wörtlich, »eine Prügeltruppe des Eulenhofs«, sie seien »eine Prügeltruppe der Neonazis in Bongard«, oder sie seien »eine außer Rand und Band geratene SS-Nachfolge-Schläger-Einheit.« Wir verlangen, dass sich die Schulleitung, die Lehrer und alle dies betreffenden Schüler der drei oberen Klassen bedingungslos und öffentlich für die haltlosen Beschimpfungen entschuldigen. Die Entschuldigung muss sowohl durch Erscheinen in einer in dieser Gegend verbreiteten Tageszeitung erfolgen, als auch auf den allgemein zugänglichen Seiten der Schule im Internet sowie in Sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter einsehbar sein. Es handelt sich bei den o.g. öffentlichen Beschimpfungen um eine Hetze, die das Sittengesetz unserer Gesellschaft bedroht. Der angerichtete Schaden ist jetzt schon immens. Wir behalten uns ausdrücklich weitere rechtliche Schritte vor. Mit freundlichen Grüßen! gez. Dr. Hagen Weidemann, Eulenhof, Bongard.«
»Moment mal«, fragte ich scharf. »Hat Hagen Weidemann einen Doktortitel? Kann er den Juristen geben?«
»Er hat einen Doktortitel, kein Zweifel. Und er kann, da er Doktor der Rechte ist, einen solchen Brief schreiben und für die drei Schüler im Eulenhof Protest einlegen, sie vertreten und für sie streiten. Er ist als Anwalt zugelassen.«
»Verdammt. Was machst du jetzt?«, fragte ich.
»Ich halte mich zunächst an meinen Auftrag der rechtlichen Aufklärung und mische mich in diese Schulgeschichte nicht ein. Ich bin Staatsanwältin. Ich beginne allerdings zu begreifen, auf was wir uns da eingelassen haben. Ich weiß definitiv, dass in Daun unter den Jugendlichen viel über die Sache geredet wird. Das Gefasel von den SS-Nachfolge-Schlägern ist belegt. Die drei Schüler vom Eulenhof sind mindestens zwei, wahrscheinlich sogar drei Tage lang in der Schule und in der Öffentlichkeit angepöbelt worden. Dabei gibt es immer noch keine harten Beweise gegen die drei vom Eulenhof. Wir haben nichts. Rodenstock sagt, die Schlimmste sei ein Mädchen gewesen. Aber er sagt auch, dass sie ihr Gesicht geschwärzt hatte! Auch der Fotograf vom SPIEGEL spricht in seiner Aussage von einer ›deutlichen Gesichtstarnung‹. Aus einer Gegenüberstellung kann ich also kein Kapital schlagen, das würde mir auch verboten werden. Ich habe keine Ahnung, wie die Schule sich verhalten wird. Das kann verdammt mies werden. Und ich hänge hier und kann nicht einmal in Ruhe überlegen, weil hier alle wie die Hühner
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