Eifel-Ralley
darüber nach. Die waren doch beide gute Typen, oder? So ein verdammter Scheiß. Da habe ich einen Mann und habe wieder keinen Mann. Warum? Weil jemand hingeht und ihn erschießt.« Sie starrte uns an. »Sagt selbst, das glaubt kein Mensch.«
»Das glaubt kein Mensch«, nickte ich. Es gab nicht den geringsten Zweifel, daß Walter Sirl den Brief geschrieben hatte, und noch weniger zweifelte ich daran, daß er sie hatte heiraten wollen, um mit ihr in Adenau einen Betrieb aufzubauen. Walter hatte in dieser Frau die Chance seines Lebens gesehen, und mit Sicherheit wäre sie das auch gewesen.
»Ob ich zu der Beerdigung gehen kann?« fragte sie mit Kleinmädchenstimme.
»Sicher kannst du das. Wir nehmen dich mit.« Rodenstock stand auf. »Wir müssen weiter, Siggi.«
Im Wagen sinnierte er: »Sie ist wirklich das Opfer, und sie hat wirklich keine Ahnung, was passiert ist. Für uns stellt sich der Fall ziemlich einfach dar: Harro Simoneit weiß etwas über den Manager Andreas von Schöntann. Er beginnt zu recherchieren und findet etwas heraus, das ihn für von Schöntann gefährlich macht. Irgendwer, wahrscheinlich nicht von Schöntann selbst, bringt Harro Simoneit um. Weil Walter Sirl zufällig das Gleiche erfahren hat, muß er ebenfalls dran glauben. Und meine Erfahrung mit Mördern sagt, daß genau das nicht stimmt. Diese Frau, bei der wir eben waren, ist das ideale Opfer dieser Gesellschaft. Da sie im Ruf steht, eine Nutte zu sein, und da sie das weiß, traut sie sich nicht einmal zu erzählen, daß Walter Sirl sie heiraten wollte – obwohl sie das sogar schriftlich beweisen kann. Für sie ist das ein Lebensplan, der wieder mal zertrümmert wurde. Wie so viele ihrer Pläne in Trümmern endeten. Sie ist kein weniger guter Kumpel und durchaus genau so moralisch wie jede andere Frau auf der Welt, aber aus bekannten Gründen traut man ihr einen anständigen Platz in dieser Gesellschaft nicht zu. Ich gehe jede Wette ein, daß sie etwas weiß, was zur Lösung des Falles beitragen könnte. Aber sie weiß nicht, daß sie es weiß, weil sie nicht weiß, welches Detail wirklich wichtig ist. Und weil wir nicht wissen, welches Detail wichtig ist, können wir auch nicht danach fragen. Man nennt das wohl ein Dilemma. Auf jeden Fall gefällt mir diese Frau.« Er seufzte. »Und was machen wir jetzt?«
»Jetzt haben wir Freizeit. Bis 14 Uhr. Dann müssen wir im Dorint von Schöntann treffen.«
»Du, nicht ich.« Rodenstock räusperte sich. »Du wirst allein gehen. Wenn er zwei Leuten gegenüber sitzt, wird er gar nichts sagen. Gibt es irgendwo eine Stelle, auf die die Sonne scheint, wo kein Auto hupt und kein Mensch herumläuft?«
»Massenhaft«, sagte ich vergnügt.
Ich fuhr an die Nordschleife, dort, wo der große Parkplatz es möglich macht, daß die Leute bis unmittelbar an die Rennstrecke gelangen können, wo immer jemand mit Kreide etwas auf die Strecke gemalt hat: Good bye, Jonny zum Beispiel, oder Mach's gut im Bikerhimmel, Tom!
Wir hockten uns am Rand der Kiefern ins Gras. Es war niemand hier, über die scharfe Linksrechtskombination, die wir einsehen konnten, zischten Motorräder und gelegentlich ein Papi mit Familie auf Abenteuerurlaub, wobei man die ganze Familie schreien sehen konnte, während Papi todesmutig zu Tal stürzte und dabei garantiert 70 km/h nicht überschritt, weil sein Auto zu neu war.
Dinah meldete sich und sagte müde: »Wir fahren jetzt zu Petra rüber, aber wir kommen so schnell wie möglich zurück.«
Wir dösten in der Sonne, bis Rodenstock sagte: »Im Grunde finde ich den Mord mit der Schrotflinte viel intelligenter als den mit dem Zyankali. Bei der Schrotflinte muß der Mörder darüber nachgedacht haben, wie er Walter von der Maschine fegt. Mit einem Gewehr wäre das entschieden zu riskant gewesen, mit Schrot aus kurzer Distanz eine sichere Sache. Wenn er nicht durch den Schrot stirbt, stirbt er beim Aufprall auf die Fahrbahn. Teuflisch gut.«
»Weißt du noch irgendeine besondere Frage, die ich stellen müßte?«
»Schau ihn dir gut an, nichts sonst. Und vergiß nicht, mich hier wieder abzuholen. Es ist hier schöner als in einer Hotellobby.«
Ich fuhr langsam zu den Tribünen hinüber, parkte im alten Fahrerlager und ging zum Hoteleingang. Ich setzte mich in die Lobby, genau gegenüber dem Zakspeed-Boliden, den irgend jemand mit Sinn für Melancholie an die Decke gehängt hatte, genau über die Bar. Ich bestellte eine Kanne Kaffee und wartete.
Jessica Born kam erstaunlicherweise
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