Eifel-Schnee
er.
»Das ist deutsch«, erwiderte ich. Ich starrte in den Garten. Weiße Flocken ließen sich dort nieder.
»Haben Sie Fotos von dem Feuer?«
»Habe ich. Ich mache das Memo und verlange, daß ihr in 24 Stunden entscheidet. Wenn ihr nein sagt, kann ich das Material anderen verkaufen. Ist das okay?«
»Das ist sehr okay«, antwortete Briebisch erleichtert.
Rodenstock hatte einen leichten Schlaf und stand plötzlich in der Tür. »Hat sich der Mörder tränenblind gemeldet und will mit dir sprechen?«
»Nein. Es war eine Redaktion. Jetzt werden sie das Material sichten und anrufen, jetzt kann ich vorübergehend das Gefühl haben, wichtig zu sein. Kaffee?«
»Ja«, sagte er. »Ungefähr zwei Liter. Und dann hätte ich gern Ottens Leberwurst und zwei Scheiben von diesem Eifel-Vollkornbrot, das ich an der Mosel nicht kaufen kann.«
»Ich habe gesalzene Butter aus Mean-Havelange«, lockte ich.
»Ist das ein Luxusschuppen hier«, sagte er verächtlich. Dann grinste er unvermittelt und forderte: »Her mit dem Zeug.«
Wir hockten uns in die Küche und frühstückten eine geschlagene Stunde lang, wie es sein sollte, wenn man sich wohl fühlen will. Danach machten wir uns landfein, weil Rodenstock unbedingt die Brandstelle besichtigen wollte. Als es gegen acht Uhr zögerlich dämmerte und der Schnee nur noch sehr fein und dünn rieselte, verließen wir das Haus.
»Ich habe den Eindruck, als würdest du diesen Fall nicht mögen.«
»Das ist richtig«, sagte ich. »Einen Drogenfall zu recherchieren, ist sehr schwer. In diesem wertekonservativen Landstrich laufen Drogen erheblich verdeckter als in den Ballungsräumen, und du wirst stets und ständig belogen. Es gibt unglaublich viele Eltern, die bei Drogen die Augen ganz fest zukneifen und einfach nicht sehen wollen, was Realität ist. Das gleiche gilt für die Ortsbürgermeister. Beispiel: Da laufen in einem Dorf zwei Sozialhilfeempfänger zwei Kilometer weit bis zur nächsten Tankstelle, um die auszurauben. Sie wollen beide Geld für Heroin und werden erwischt. Der Ortsbürgermeister ist beim Verhör dabei, die Täter gestehen sofort. Zwei Stunden später behauptet der Bürgermeister in einem Gespräch mit mir, seine Gemeinde sei vollkommen clean. Und ich hatte die Wahnsinnsidee, daß er selbst an seine Worte glaubte. Du hast recht, ich würde mich drücken, wenn ich könnte.«
»Gibt es viele Drogen hier?«
»Jede Menge. Unglaubliche Mengen von Haschisch und Ecstasy. Auch Kokain, aber meistens schlechtes Zeug. Gott sei Dank wenig Heroin, aber es gibt verdammt viele Jugendliche, die irgendwelche Medikamente schmeißen, weil sie so leicht drankommen.«
»Und die Obrigkeit leugnet?«
»Nicht nur die Obrigkeit, vor allem die Eltern. Hier gab es einen leibhaftigen Kriminalbeamten, der behauptete, man wisse nicht, wie Ecstasy wirkt. Zum gleichen Zeitpunkt lagen auf der Intensivstation des Krankenhauses zwei Jungen, beide 18, deren Kreislauf kollabiert war. Sie hatten durchgehend von Freitagabend bis Sonntagabend Pillen eingeschmissen, und sie behaupteten steif und fest, man hätte ihnen gesagt, Ecstasy sei ausgesprochen harmlos. Das Einfachste ist immer noch, man streitet schlicht ab zu wissen, was Drogen sind, was sie bewirken. Jede betroffene Familie empfindet das als Schande und fragt sich vollkommen fassungslos, wieso das Kindchen denn das Zeug frißt. Auf die Idee, das Kindchen könne eventuell massive seelische Probleme haben, kommt kein Mensch. Das hat etwas damit zu tun, daß die Eifel immer schon ein verspottetes Gebiet war. Da will man sich nicht nachsagen lassen, daß es jetzt auch Drogen gibt.«
»Du bist ja richtig wütend«, stellte Rodenstock fest.
»Bin ich auch. Denn diese Kinder können selbstverständlich nur in den seltensten Fällen zu ihren Eltern gehen und um Hilfe bitten. Dazu kommt eine geradezu groteske Polizeiorganisation. Wenn ich ein Dealer wäre, würde ich vorwiegend in der Eifel arbeiten, denn hier kannst du das Zeug unverpackt in einer Schubkarre transportieren – du gerätst niemals in die Gefahr, einem Bullen zu begegnen. Hier ist bullenfreie Zone, hier ist die absolute Freiheit angesagt, hier ist der Himmel für Kiffer.«
»Du übertreibst.«
»Ich übertreibe nicht. Zwischen Wittlich und Koblenz sind zwei Kriminalbeamte für Drogen zuständig. Sie beackern ein Gebiet, das halb so groß ist wie das ganze Saarland. Das erste, was die Jugendlichen hier auswendig lernen sind, die Autonummern der Rauschgiftfahnder. Neulich hat sich
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