Eifel-Schnee
Kumpel genug, die ihm geholfen haben.«
»Die Unterkunft hatte nur einen Nachteil«, sagte er und bewegte sich immer noch nicht. »Sie hatten keine Fenster. Aber sie wollten wahrscheinlich keine Fenster, sie wollten ihre kleine Welt mit niemandem teilen, und sie wollten die Welt auch nicht sehen. Sieh mal, die Öfen da. Holz hatten sie genug, sie hatten es immer warm. Hast du eigentlich diesen Arzt, diesen Peuster gefragt, ob Betty schwanger war?«
»Nein. Wie kommst du darauf?«
»Ich denke mir, daß diese etwas ungewöhnliche Behausung so etwas wie eine wunderbare Höhle war, in der sie sich verbargen und sich liebten. Aber wahrscheinlich denke ich zu romantisch, oder?«
»Kann sein. Wir werden es aber erfahren, denke ich. Deine Höhlentheorie klingt gut.«
Wir standen am Rand des tiefschwarzen riesigen Flecks, der einmal die Wohnung von Ole und Betty gewesen war.
»Wer, um Gottes willen«, fragte Rodenstock leise, »gibt sich die Mühe, solch junge harmlose Leute auf diese Weise zu töten?«
»Ein Irrer vielleicht«, versuchte ich zaghaft.
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Viel zu aufwendig für einen Irren. Erst töten, dann Heroin spritzen, dann verbrennen. Jeder, wirklich jeder, der ein wenig Ahnung hat, wird wissen, daß Heroin nachweisbar ist und der Eintritt des Todes vor dem Brand auch. Nein, nein. Trotzdem muß die sehr komplexe Tat eine Bedeutung haben. Vielleicht sollte jemand gewarnt werden, vielleicht will der Täter ein Zeichen geben.«
»Vielleicht, vielleicht, vielleicht ...«
Hinter uns fragte plötzlich eine helle Stimme: »Entschuldigung, sind Sie von der Polizei?«
Wie aus einem Mund antworteten wir beide: »Nein«, und drehten uns um.
Es war eine junge Frau, vielleicht 25 Jahre alt. Sie trug einen Rollkragenpullover und darüber eine dicke weiße Wolljacke. Dazu Jeans und Snowboots. Auf dem Kopf hatte sie eine feuerrote Nikolausmütze, wie sie in diesem Jahr plötzlich Mode geworden war. Sie fror trotzdem, sie hatte eine rote Nase und ihre Stimme kam zittrig. Sie stand da und wußte nicht weiter, wahrscheinlich hatte sie fest damit gerechnet, daß wir Polizeibeamte waren.
»Ich war nachts an der Brandstelle«, sagte ich behutsam. »Ich war hier, als das passierte. Es hat mich sehr mitgenommen. Deshalb sind wir hier. Kannten Sie Ole und Betty?«
Sie nickte.
»Sind Sie mit ihr zur Schule gegangen?« fragte Rodenstock unschuldig.
»Ja, klar. Erst sind wir zusammen zur Grundschule, dann später zum Gymnasium, noch später zur Berufsschule, als wir Lehrlinge waren. Wir haben im gleichen Betrieb gelernt.
»Ich wußte gar nicht, daß Betty einen Beruf gelernt hatte«, meinte Rodenstock.
»Oh doch«, sagte sie. »Wir haben beide Friseuse gelernt. Aber sie hat die Lehre geschmissen, sie wollte nicht mehr. Und Ole wollte auch nicht, daß sie arbeitet. Er sagte immer, Arbeit wäre die blödeste Tätigkeit, die man sich aussuchen könnte.« Sie kicherte einen Hauch lang. »Er war schon ein Verrückter.«
»Was hatten die beiden denn vor?« fragte Rodenstock.
»Deswegen bin ich eigentlich hier.« Sie suchte umständlich in ihren Hosentaschen, kramte dann zerknüllte Papiertaschentücher heraus und schneuzte sich lautstark die Nase. »Ich mußte einfach hierherkommen, ich kann immer noch nicht glauben, daß sie verbrannt sind. Na ja, jetzt ist sowieso alles zu spät ...«
»Sie müßten sich an die Polizei wenden, wenn Sie etwas wissen«, riet Rodenstock beinahe gemütlich.
»Oh, das tue ich nicht«, entgegnete sie lebhaft. »Bestimmt nicht. Hinterher steht mein Name in der Zeitung, und ich kriege nichts als Schwierigkeiten. Nein, auf keinen Fall, das tue ich nicht. Außerdem ist das alles vielleicht doch nicht so wichtig, und die Polizei wird es sowieso erfahren.«
»Gab es Probleme bei den beiden?« fragte Rodenstock gefährlich freundlich.
»Nein, das denn nicht«, sagte sie versonnen. »Es geht ja niemanden was an, aber eigentlich sollten sie heute von Frankfurt aus nach Kanada fliegen. Sie wollten erst mal mit einem Drei-Monats-Visum zu alten Freunden aus der Eifel, die irgendwo bei Montreal leben. Dann wollten sie sich umsehen und sich Arbeit besorgen. Die waren schon seit Wochen selig, sie waren gar nicht mehr von dieser Welt, sie wollten es in Kanada packen.«
»Ach, du lieber Gott«, meinte Rodenstock betroffen, »das ist ja richtig tragisch. Wußten denn Öles Eltern davon?«
»Die hatten keine Ahnung«, erwiderte sie ohne sonderliches Interesse. »Ich glaube, bis auf ein
Weitere Kostenlose Bücher