Eifel-Schnee
Ahnung. Ich kann an gar nichts anderes mehr denken. Ich habe gedacht, vielleicht war es jemand, der diese Szene hier übernehmen will. Aber da sehe ich keinen. Ich habe auch gedacht, daß es vielleicht sein Vater gewesen ist. Der hat immer gewollt, daß Ole den Hof übernimmt. Das ist ja ein Riesenhof. Aber Ole ist abgesprungen und hat gesagt, er wäre keiner, der auf einer Zugmaschine sitzt, pflügt und den Mähdrescher fährt und solche Sachen. Ich habe alles mögliche gedacht, Mann, eh, wirklich alles mögliche. Ich komm nicht weiter.«
»Dauerte deine Geschichte mit Betty lange?«
Wieder Ruhe, wieder Spannung, wieder Druck.
»Es war doch keine Geschichte«, murmelte er. »Ich hatte damals noch nie ... na ja, ich hatte noch nie mit einer Frau geschlafen. Und da ergab es sich so, daß Ole in Belgien oder in Holland war. Und ich war bei ihnen ...«
»Moment mal, in der Scheune?«
»In der Scheune«, bestätigte er. »Wir haben was getrunken, Betty und ich. Und ich habe ihr gesagt, daß ich ..., also, daß ich keine Erfahrung habe und so. Da sagte sie: Moment mal, das haben wir gleich, und ...«
»War es schön?« fragte ich.
Er nickte, dann schwieg er, bis wir vor seinem Elternhaus standen. »Jetzt muß ich doch diesen Scheiß-Truthahn essen.« Mario sah mich an. »Du hattest recht. Ole wollte, daß ich sein Geschäft übernehme. Ich will das aber nicht.« Er starrte in die Luft. »Ich bin zu jung, und ich kann das meinem Vater nicht antun. Und Vera sagt, wenn ich was mit Stoff habe, kann ich sie gleich abschreiben. Sie schläft nicht mit einem, der dealt. Mach's gut, Baumeister.«
»Mach es gut, Mario.« Ich wollte ihm einen Vorsprung geben, einen Vorsprung von drei oder vier Sekunden. Peter Falks Colombo hat eines blendend umgesetzt: die wirklich wichtigen Fragen kommen spät, fast zu spät. Mario hatte die kleine Treppe vor der Haustür schon hinter sich und fummelte die Schlüssel aus der Jeans. »Sekunde«, rief ich laut. »Da hätte ich fast etwas vergessen.«
Er drehte sich und kam zurück an den Wagen. »Ja klar, Mann, wir haben vergessen, zu welchem Tagessatz ich mitmachen kann.«
»Richtig. An was hast du gedacht?«
»Können wir einen halben Blauen pro Tag machen?«
»Wieviel Tage?«
»Na ja, solange ihr mich braucht.«
»Einverstanden. Aber noch was: Wieso kam Ole überhaupt auf die Idee, dir das Geschäft anzubieten?«
»Na ja, er kennt mich lange, zwei, drei Jahre. Er weiß, daß ich den Mund halte und daß ich keinen bescheiße. Er weiß auch, daß ich niemals zuviel kiffe und daß ich kaum E schmeiße oder andere Pillen. Wir haben ja auch oft geredet. Jedenfalls hat er das gesagt.«
»Er hat dich am Heiligen Abend gefragt, nicht wahr? Er ist von der Hähnchenstation in Daun zu dir gekommen? Komm schon, Mario, hilf mir.«
»Er ist nicht zu mir gekommen, wir haben uns getroffen. Auf Platz drei.«
»Was ist Platz drei?«
»Die BP-Tankstelle in Daun. Da ist immer viel Betrieb. Wir tankten und sahen Öl nach und Frostschutzmittel und so.«
»Wieviel Uhr war es, Mario?«
»Es war Punkt ein Uhr mittags. Ich weiß das deshalb so genau, weil meine Eltern sauer waren, daß ich nicht pünktlich zum Essen kam. Wir haben das ein bißchen gezogen, das Treffen meine ich. Irgendwie war das bescheuert, weil ich sie ja nie wiedersehen würde. Sie hatten die Tickets nach Kanada, sie wollten heute fliegen. Und Ole war komisch drauf. Er sagte: Mensch, Kleiner, du wirst uns fehlen. Du mußt uns unbedingt besuchen, Kleiner. Er sagte immer Kleiner zu mir. Er war die ganze Zeit kurz davor zu heulen. Dann stieg Betty aus und machte was Komisches. Du kannst an der Tankstelle auch Blumen kaufen. Die kriegen die jeden Tag aus Holland. Betty kaufte einen Strauß Tulpen. Sie gab sie mir, und sie weinte. Scheiße war das.«
»Noch etwas zum Schluß: An wen wenden sich die Kids denn jetzt, wenn sie Stoff wollen? Wer macht Öles Geschäft?«
»Das weiß ich nicht, Mann. Ich weiß es wirklich nicht.«
»Dann solltest du heute noch versuchen, Stoff zu kaufen«, schlug ich vor.
Mario grinste. »Das ist Anstiftung, Mann. Aber ich hätte das sowieso getan.« Er nickte mir freundlich zu, wie lebenserfahrene Opas das so tun.
»Hat Ole an der Tankstelle denn nicht gesagt, wohin sie anschließend fahren wollten?«
»Daran mache ich doch schon rum, Mann. Ole mit Sicherheit nicht. Betty hat was gesagt. Sie müßten noch was aufnehmen.«
»Was heißt das deiner Meinung nach?«
»Sie haben irgendwo wen getroffen, um
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