Eifel-Schnee
von der Kommission tun«, sinnierte er. »Wir haben enorm viele lose Enden. Wir haben den kleinen Jungen, den Schappi, wir haben die Jugendfreundin Prümmer, wir haben Mario, wir haben die Mordkommission, wir haben diesen Arzt, wir haben diesen Holländer.«
Ich griff nach dem Handy und wählte noch einmal Marios Nummer. Seine Mutter war schlechtgelaunt. »Stundenlang kocht man das Essen, dann hauen sie es sich in zwanzig Minuten rein, und du stehst da im Chaos der Küche. Warten Sie, ich hole ihn – falls er noch da ist.«
Er war noch da. »Mann eh, Baumeister, ich wollte gerade los. Mit dem Moped bei dieser Saukälte.«
»Wo willst du denn hin?«
»Ich habe eine Idee.«
»Wo du Stoff kriegen kannst?«
»Roger.«
»Machst du eine Andeutung?«
»Na ja, es läuft so in die Richtung, was ich dir mal im Sommer erzählt habe, als wir uns am Gemündener Maar getroffen haben. Erinnerst du dich?«
»Ist das dein Ernst?«
»Warum denn nicht? Die Welt ist doch sowieso komisch. Dann ist mir noch was eingefallen, was ich fragen wollte. Haben die an der Brandstelle Geld gefunden?«
»Das wissen wir nicht, wir kennen die Untersuchungsergebnisse nicht. Aber wenn Geld da war, wird es logischerweise verbrannt sein.«
»Vermutlich nicht«, sagte er mit leiser Heiterkeit in der Stimme. »Ole hatte da einen Trick. Er wußte ja, daß Bullen bei Hausdurchsuchungen immer erst nach Bargeld suchen. Eigentlich ist Bargeld ja sowas wie ein ... Wahrzeichen? Na ja, jedenfalls läuft nix ohne Bargeld. Und Ole hatte eine Kassette, so eine aus Stahl, wie man sie in Warenhäusern kaufen kann. Aus Stahl und abschließbar. Die hatte er aber nie in der Wohnung, die war immer irgendwo dicht am Haus. Ich denke mal, daß die Bullen die bis jetzt nicht gefunden haben, oder?«
»Und du hast keine Ahnung, wo er die versteckt hat?«
»Keine. Ging mich ja auch nichts an. Wenn er Bares brauchte oder Bares wegschaffen wollte, ging er raus.«
»Kannst du dich daran erinnern, wie lange so etwas dauerte?«
»Drei, vier Minuten mindestens. Er hatte die Kassette nicht in der Scheune. Man hörte nämlich immer die Scheunentür klappern.«
»Du bist richtig gut«, lobte ich. »Kannst du mir sicherheitshalber sagen, wohin du jetzt fahren willst?«
»Warum denn, hast du etwa Angst?«
»Angst? Weiß ich nicht. Aber vielleicht mischen Leute mit, die sehr schnell bereit sind, Gewalt auszuüben. Deshalb.«
»Der doch nicht. Denk an die Geschichte vom Sommer. Mach's gut, Alter.«
»Die Geschichte vom Sommer, Mario erinnerte mich an den Sommer. Er scheint jetzt jemanden zu treffen, von dem er erfahren will, ob er das Dealen übernommen hat beziehungsweise wer den Job jetzt macht«, berichtete ich Rodenstock.
»Und was war im Sommer?«
»Eine komische Sache. Du kennst Mario ja jetzt. Klein, schmächtig, liebenswert, in beiden Ohren zwei Sicherheitsnadeln, Klamotten, die mindestens vier Jahre die Waschmaschine nicht gesehen haben, alte Springerstiefel, die so aussehen, als seien sie für den Krieg 70/71 gebaut worden. Dieser Mario wird von beinahe allen Leuten automatisch mit Haschisch und weiß der Teufel was in Verbindung gebracht. Und gleiches gilt für die drei oder vier Kumpels, die er hat. Im Sommer haben sie sich mal mit zwei Mopeds auf die Socken nach Wittlich gemacht. Das ist so ähnlich, als würdest du versuchen, mit deiner Badewanne den Nordpol zu suchen. Sie waren ziemlich lange unterwegs, gingen ins Kino und machten dann die Tour zurück. Unterwegs trafen sie einen jungen Mann in einem Golf, dem das Auto verreckt war und der keine Ahnung von Technik hatte. Das haben wir gleich, sagten sie. Sie reparierten die Karre. Der junge Mann fragte dann, wie er sich denn erkenntlich zeigen könnte. Och, antworteten sie, vielleicht mit einem Kasten Bier? Macht einen Zehner. Aber er gab ihnen keinen Zehner. Er sagte strahlend: Ich glaube, ich habe was Besseres für euch. Dann machte er das Handschuhfach auf, holte etwas heraus, das in Packpapier eingewickelt war. Es war ein brauner etwas schmieriger Brocken. Sah aus wie Wochen altes Bratfett. Er rupfte ungefähr zwanzig, dreißig Gramm davon ab und gab es ihnen. Es war Hasch. Mario hat sich noch beschwert und gesagt, Bier wäre ihnen wirklich lieber. Aber der junge Mann sagte nur im Ton eines Grundschullehrers: Ach geht mir weg, ich kenne doch Typen wie euch. Dann setzte er sich in seinen Golf und rauschte ab. Soweit so gut. Wenige Tage später holte sich Mario mitten in Daun beim EDEKA eine Dose Cola.
Weitere Kostenlose Bücher