Eifel-Schnee
wurde, ist es in Daun. Manchmal fahren die Jungen auch selbst, einer mit Führerschein ist ja immer dabei ist. Sie verabreden sich in einer der Großdiskos: Wittlich, Trier, Koblenz und so weiter. Auf dem Parkplatz läuft der Deal, und anschließend geht die Post ab. Das Ganze ist sehr brutal geworden. Das siehst du an Jünkerath, oder?«
»Stimmt«, bestätigte ich. »Was tun die Schulen?«
»Nichts. Die halten sich raus. Und wenn ruchbar wird, daß ein Kind Drogen nimmt, sind die Eltern schuld. Die Eltern schieben die Schuld auf die Schule. Beide Parteien sagen, die Polizei versagt. Die Polizei meint: Wir haben keine Beamten, wir können wegen der Personalnot nicht ermitteln.«
»Und die Jugendämter?«
»Die sind überfordert und können nur warnen. Eltern müssen mehr tun, Schulen müssen mehr tun, die Polizei muß mehr tun. Mit anderen Worten: Die Leistungsgesellschaft zeigt sich in all ihrer kalten Pracht. Stimmt es, daß diese tote Betty sowas wie eine kleine Nutte war?«
»Das wissen wir noch nicht genau«, nuschelte ich. »Sie war auf jeden Fall eine Seele von Mensch, ein guter Kumpel. Und sie wäre ein paar Monate später bestimmt eine gute Mami geworden.«
»Habt ihr denn schon einen Verdacht, wer diese furchtbare Geschichte angerichtet hat?«
»Nein.«
»Und die Staatsanwaltschaft? Weiß die mehr?«
»Ich fürchte, ebenfalls nein. Sag mal, war dieser Ole nicht mal in deiner Schule?«
»War er. Ich kann mich gut erinnern. Hochintelligent. Leider mit Eltern gesegnet, die absolut keine Vorstellung davon haben, weshalb man ein Gymnasium besuchen sollte und was in einer Schule überhaupt vor sich geht.«
»Weshalb ist er denn abgegangen?«
»Wir haben versucht, ihn zu halten, weil er wirklich intelligent war. Er war einfach gut in Deutsch, Geschichte, Sprachen. Aber der Vater meinte wie ein Bullerkopp: Was soll der Jung auf dem Gymnasium? Der faulenzt doch nur. Und um den Hof zu führen, braucht er kein Gymnasium. Es war nichts zu machen. Ich erinnere mich, daß Ole auf dem Lokus vor einem Pissoirbecken stand und weinte. Er weinte hemmungslos und konnte kein Wort sagen. Ich habe dann die Eltern noch einmal besucht. Die Mutter hatte absolut kein Mitspracherecht, und der Vater betonte, alle Eltern seien absolut bildungssüchtig, neurotisch und lebensblind, und er würde diesen Zirkus auf keinen Fall mitmachen.«
»Weißt du, ob Ole einen Erwachsenen hatte, dem er vertraute?«
»Ja, hatte er. Wenigstens damals war das so. Den Pfarrer Hinrich Buch. Aber ich weiß nicht, ob das für die letzte Zeit noch galt.«
»Ich kann ihn fragen«, sagte ich. »Und ... danke dir.«
»Schon gut«, sagte er trocken. »Wir haben eine beschissene Situation, und ich kann die nicht schönreden. Aber bei der Gelegenheit kann ich dich auf einen Punkt aufmerksam machen, der unseren Kindern großen Kummer macht: die Polizei ist angesichts der wachsenden Szene und fehlender Beamter dermaßen unter Druck, daß sie zuweilen völlig wahllos die mit Drogen gefaßten Jugendlichen auffordert, als V-Männer tätig zu sein. Sie verspricht dafür eine besonders faire Behandlung – was immer das heißt. Manchmal verspricht sie auch Geld. Sie züchtet damit einen Stamm möglicher Verräter heran, denn die Kinder urteilen eindeutig: das ist Verrat.«
Ich dachte an Mario. Er hatte diesen Verrat nicht mitmachen wollen und dafür bezahlen müssen. »Du hast recht, das ist eine miese Situation.«
»Und noch etwas sollten wir nicht außer acht lassen. Mein Sky sagt mir immer wieder: wenn Erwachsene über Drogen reden, geht es ausschließlich um Jugendliche. Dabei wissen wir, daß die Jugendlichen zwischen 14 und 18 von der Gesamtzahl der Konsumenten nur ein Viertel ausmachen. Eigentlich sind die Erwachsenen unser Problem. Die Kids wissen das genau, und sie hassen uns für diese Verlogenheit.«
»Kennst du eigentlich den Kripobeamten Dieter Kremers?«
»Ja«, sagte Schmitz sofort. »Bekannt. Sei vorsichtig, der Junge ist link. Mischt der mit?«
»Es sieht so aus. Woher kennst du ihn?«
»Parteiarbeit. Er hat gerade ein Grundstück gekauft, angeblich für einen lächerlichen Preis. In Gerolstein. Er baut, er baut ziemlich groß für einen kleinen Bullen.«
»Gerolstein?« fragte ich. »Und der Verkäufer des Grundstücks ist der Vater von Jonny, der reiche Chemiemann?«
»Du hast ein Wasserschloß am Niederrhein gewonnen«, murmelte er trocken. »Mach es gut, mein Alter, ich muß jetzt los, ich habe keine Zeit mehr.«
Dinah und
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