Eifel-Schnee
Kuh wehrte sich jedoch kaum, sie wußte wohl, daß es um ihr Kälbchen ging.
»Mir ist immer noch schleierhaft, daß Ole Betty verraten wollte«, sagte ich, während Mehren im Innern der Kuh arbeitete und dabei heftig und angestrengt atmete.
»War aber so«, keuchte er. »War wirklich so. Er wollte Betty an den Kremers ausliefern.« Er stützte sich mit der Linken scharf auf die Hinterhand der Kuh und schnaufte laut. »Komm Mädchen, da mußt du durch. Du kriegst ein verdammt großes Kalb, ein Stierkalb, eh? Steh ruhig, Mädchen, ich hab die Hinterklauen jetzt und drehe. Alles klar, Mädchen? Glaubst du denn, du findest den, der es getan hat?«
»Ja, das glaube ich.« Vorsicht Baumeister, ganz vorsichtig. »Ole hat zu Pfarrer Buch gesagt, eigentlich müsse nur ein Mensch sterben, dann hätte er seine Ruh.«
»Na sicher«, ächzte der Bauer. »Die Betty, dieses Luder, diese Hure, die mußte sterben. Dann hätte er seine Ruhe gehabt.«
»Wie heißt du eigentlich?«
»Alwin.«
»Also gut, Alwin. Du redest Scheiße. Ole hat Betty geliebt, er wollte vielleicht töten, aber niemals die Betty Wer kommt sonst in Frage?«
»Weiß ich doch nicht«, entgegnete er sehr schnell. »Das Luder hätte es verdient.«
»Kannst du nicht endlich begreifen, daß die sich wirklich liebten?«
»Will ich nicht!« schrie er und machte eine letzte große Anstrengung, die sein Gesicht rot anlaufen ließ. Dann zog er den Arm aus der Kuh, drehte sich um und nahm eine große Spritze von einem hochgelegenen Fensterbrett. »Ich muß sehen, daß sie wieder Wehen kriegt«, kommentierte er sein Tun. Er spritzte zügig und sicher. Die Kuh durchlief ein Zittern, und sie versuchte, sich hinzulegen.
»Nicht hinlegen lassen!« befahl der Bauer aufgeregt. »Jetzt kommt es.« Er fuhr wieder mit dem Arm in die Kuh und beruhigte das Tier durch einen zärtlichen Singsang. Nach fünf Minuten kam ihr Baby, und es lag frisch, glänzend, blutig und eingewickelt in eine Haut im Stroh. »Jetzt kannst du dich hinlegen«, meinte Mehren befriedigt zu der Kuh. »Ich sagte doch, ein Stierkalb.«
»Warum erzählst du nicht endlich alles, was du weißt?« fragte ich.
Die Kuh legte sich nicht, wendete sich statt dessen dem Baby zu und leckte es.
»Ich warte auf die Nachgeburt«, erklärte er. »Ich warte immer. Was soll ich denn nicht erzählt haben?«
»Das weiß ich nicht, Alwin«, sagte ich. »Es ist ein Gefühl.«
»Gefühle! Blödsinn!«
Eine graue Katze kam heran und strich um seine Beine. Mehren bückte sich, nahm sie hoch und streichelte sie.
»Was glaubst du, wen wollte dein Sohn töten? Er wollte doch töten, oder?«
Öles Vater nickte unendlich langsam, als mache es ihm körperliche Schwierigkeiten. »Wollte er. Aber ich weiß nicht, wen. Ich weiß es wirklich nicht.«
»Wie wollte er denn töten?«
Er streichelte die Katze, sah mich dann an und hatte ganz schmale Augen. »Mit meinem Jagdgewehr. Er hat es mir geklaut. Es ist weg, es ist einfach weg.«
»Was ist das für eine Waffe?«
»Schrot. Doppellauf.«
»Seit wann hatte er es?«
»Seit, warte mal. Vierzehn Tage vor Weihnachten. Ich habe sofort gemerkt, daß er es genommen hat. Ich habe nicht gefragt, ich habe nur gedacht, hoffentlich erschießt er damit die Hure!« Er ließ die Katze einfach fallen, ging zwei, drei Schritte zurück, glitt dann an der Wand herunter und setzte sich schwer in einen Strohhaufen. Der Bauer weinte. Sein Gesicht hatte sich in Sekunden verändert, es war grau und teigig geworden, und er griff sich in einem schnellen Reflex an die linke Brustseite. »Ich kann nicht mehr«, schluchzte er. »Verdammt noch mal, ich kann nicht mehr. Sie hat ihn bedrängt, daß er den Hof nicht bewirtschaftet.«
»Das hat sie nicht«, widersprach ich. »Das hatte er schon entschieden, als Betty noch gar nicht in seinem Leben war. Als er noch ins Gymnasium ging, hat er schon gesagt, er wolle niemals Bauer sein.«
»Aber warum denn? Er mochte doch Tiere und die Arbeit hier.« Mehren wischte sich mit dem Unterarm über die Nase.
»Man kann doch Tiere und Bauernhöfe mögen und trotzdem nicht Bauer sein wollen«, sagte ich. »Das ist doch normal. Wahrscheinlich wird doch Schappi jetzt den Hof machen, oder?«
»Aber zwischendurch, so vor drei Jahren hat er gesagt, er würde den Hof doch machen wollen. Da muß diese Hure ihn von abgebracht haben.«
»Hör auf, dich zu quälen«, sagte ich. »Sie war keine Hure, und eigentlich weißt du das auch genau.«
»Aber sie hat ...» begann
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