Eifel-Wasser
fragte Vera, als wir die Höhe bei Brück passierten, von der man bis zur Hohen Acht sehen konnte.
»Jede Menge. Mindestens sieben, aus praktisch allen Himmelsrichtungen. Es geht um einen Höhenrücken, an dessen Ende der Steinbruch liegt. Dorthin kannst du dich auf vier Wegen begeben, entweder rechts oder links des Rückens. Du kannst aber auch durch die Felder an den Flanken herankommen.«
»Was ist mit befahrbaren Wegen?«
»Alle Wege sind für Offroader befahrbar. Kein Problem.«
»Und welche Wege werden am häufigsten benutzt?«
»Die beiden von Kerpen aus. Links an der Strumpffabrik vorbei oder durch das Feld rechts davon.«
»Wer kommt überhaupt zum Steinbruch? Und aus welchen Gründen?«
»Zum Beispiel Hobbygeologen. Die kramen da nach Versteinerungen, im Wesentlichen nach denen aus dem Urmeer, das es hier vor dreihundert Millionen Jahren gegeben hat. Dann Wanderer. Natürlich Jäger und Forstleute. Und der verblichene Franz-Josef Breidenbach. Wie ich dich als aufmerksame Kriminalobermeisterin kenne, wirst du mich jetzt fragen, wie stark der Steinbruch frequentiert wird? Wie lange kann man sich allein fühlen?«
»Genau«, sagte sie sanft.
»Ich habe oft im Steinbruch gehockt. Manchmal ganze Nachmittage lang. Immer auf der untersten Sohle, da, wo sich das Regenwasser sammelt und einen Tümpel bildet. Dort wächst Schilf, es gibt Molche und die Quappen der Glockenunken. Es kam nur selten jemand hinzu.«
»Aber irgendeiner kam immer?«
»Schon. Ein Wanderer. Oder jemand mit dem Auto, der ein paar dekorative Steine für den Garten gesucht hat. Ja, eigentlich kam immer jemand. Hin und wieder versuchen dort auch Urlauber zu campen. Allerdings ziehen sie den Zorn der Leute vom Forst auf sich und werden verscheucht. Warum hackst du so darauf herum?«
Vera antwortete nicht, stattdessen fragte sie: »Breidenbach war oft hier. Und nicht nur tags, sondern auch nachts mit dem Zelt. Wie kommt es, dass du ihn nie getroffen hast?«
»Gute Frage. In den letzten zwei Jahren war ich seltener hier. Vielleicht deshalb? Vielleicht auch deshalb, weil er nur nach Dienstschluss kommen konnte oder am Wochenende. Und ich bevorzugte immer die Wochentage.«
»Vielleicht ist das der Grund«, nickte sie. »Vielleicht war Breidenbach aber auch nur nachts da, selten am Tag.«
»Auf was bist du aus, Frau?«
»Darauf, dass ihr möglicherweise auf das falsche Pferd setzt. Da wird jemand von Steinen erschlagen. Alle sprechen zunächst von einer kleinen Naturkatastrophe, die einen armen Naturfreak erwischte. Einen Menschen, der dauernd draußen bei Mama Natur war, weil er die Tiere des Waldes liebte und die Schnecken und die Glockenunken und überhaupt jeden Grashalm und jedes Blümelein. Das klingt logisch. Dann kommen du und Rodenstock auf die Idee, dass Breidenbach hier jemanden getroffen hat. Und diese Idee, mein Lieber, führe ich nun weiter: Ist es nicht möglich, dass Breidenbach ein Doppelleben führte? Tagsüber ein gottesfürchtiger Eifler, ein vorbildlicher Haushaltsvorstand, ein geliebter Ehemann und Vater- und nachts jemand, der Leute trifft, die aus einer anderen Welt stammen, vollkommen anders sind. Immerhin brachten sie ihn vielleicht um. Vielleicht war dieser blöde Steinbruch für Breidenbach und andere ein angestammter Treffpunkt? Der hochedle Naturfreak liebte also den Steinbruch nicht wegen der Natur, sondern weil er hier unbeobachtet bestimmte Leute treffen konnte.«
»Gegen diese Theorie ist nichts einzuwenden. Sie ist krass, aber sie hat was«, nickte ich.
Sie grinste. »Du bist so klug, Baumeister.«
»Wie schön, dass ich nie daran gezweifelt habe.«
»Wer, bitte, wohnt in dieser Kate?«
Wir hatten inzwischen Kerpen durchfahren, waren auf die Landstraße eingebogen und an der Strumpffabrik vorbei. Nun befanden sich rechts von uns zwei sehr alte, kleine Häuser, das zweite war ein Bauernhaus, das sowohl malerisch wie schäbig wirkte, wobei sich das überall auf der Welt durchaus nicht widerspricht.
Ich antwortete: »Das weiß ich nicht. Im Übrigen heißen hier in der Eifel alte Bauernhäuser nicht Kate.« Ich stoppte den Wagen. »Da ist niemand. Es sieht aber bewohnt aus. Warum?«
»Wer immer dort wohnt, wird zumindest tagsüber die meisten Autos sehen, die hier entlangfahren, um zum Steinbruch zu kommen.«
Das Haus war lang gestreckt. Im Unterschied zu den meisten anderen Bauernhäusern der Region waren der Viehtrakt und die Scheune zwar in einer Flucht gebaut, aber entschieden zu klein, um
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