Eifel-Wasser
die Kniekehlen fegte, sodass sie nach vorn knickte und zu Boden ging.
»Friede!«, äußerte ich salbungsvoll, aber gänzlich wirkungslos.
Cisco hatte es auf die lustvoll frei baumelnden Hoden des Herrn der Gesellschaft abgesehen, kam aber nicht zur Attacke. Der Ziegenbock boxte ihm in die Flanke und Cisco flog heulend etwa zwei Meter zurück, kniff den Schwanz ein und nahm sich eine Auszeit, indem er sich hinlegte und so etwas wie toter Mann spielte.
»Friede!« Ich war erneut erfolglos und griff zum Fernsehdeutsch. Laut brüllte ich: »Break!«
Und siehe da, die Runde, die gerade dabei war, in einen fröhlichen, kräftezehrenden Ringelpiez auszubrechen, hielt erschrocken inne.
Die alte Frau blickte mich verwirrt an, Vera rappelte sich hoch und auch Cisco erhob sich wieder und knurrte vorsichtshalber.
Hell und freundlich fragte die alte Frau: »Ein Schnäpschen?«
Vera antwortete aus tiefster Seele: »O ja!«
Die alte Frau wischte flink wie ein Wiesel an ihr vorbei und verschwand im Haus. Sekunden später stand sie mit einer Schnapsflasche unter dem Arm und drei vom Alter stumpfen Schnapsgläsern in der Hand strahlend vor uns. Die Flasche sah so aus, als habe sie schon Napoleon gedient, als er auf Moskau marschierte. Aber zumindest der Inhalt war klar.
Weil Eifler herzliche Gastgeber sind, goss die Alte drei Pints voll und trank alle drei mit affenartiger Geschwindigkeit aus. Dann befand sie: »Das Zeug kann man trinken! Jeden Tag ein bisschen.«
Sie entdeckte, dass die Ziegen in die Tiefen des Garten entwichen waren und sich nun über die Blumenpracht hermachten. Gellend schrie sie: »Nee, nee, nee!«, und knüppelte die Tiere auf den Stall zu. Hinter ihnen riegelte sie die Tür zu. Dann drehte sie sich wie eine Tänzerin und goss erneut von dem Schnaps ein.
»Der ist gut!«, seufzte Vera. »Noch einen, bitte!«
»Der Herr trinkt keinen?«, fragte die alte Frau.
»Nein danke!«, nickte ich freundlich.
»Hm«, machte sie und trank meinen. »Schönes Wetter«, sagte sie dann, als habe sie soeben das Rad erfunden. Sie sah mich an und murmelte: »Schöner Peter!«
Sie setzte sich auf die Bank vor den Geranien.
»Ja, er ist schön«, bestätigte Vera ganz ernsthaft. Dann fragte sie: »Wer fährt denn so hier vorbei zum Steinbruch?«, und hockte sich neben die Alte.
»Och je, viele«, antwortete sie nicht sonderlich interessiert.
»Wer denn?«, bohrte Vera weiter. »Der Breidenbach auch?«
»Joh, der auch. Aber der ist ja nun tot.«
»Wie oft kam er hier vorbei?«, fragte ich.
Sie sah mich wieder an. »Schöner Peter!«
Das verwirrte mich, aber ich wiederholte tapfer: »Wie oft?«
»Joh, oft. Alle naselang kam er. Mit dem Fahrrad. Und mit dem Auto auch.«
»Hast du ihn gesehen?«, fragte Vera. »Hast du ihn gesehen? Tot?«
»Ja, habe ich. Viel Blut.«
»Richtig«, lobte Vera.
»Bist du Katharina?«, fragte die Alte.
»Nein«, sagte Vera. »Bin ich nicht. Ich bin Vera. Und das ist Siggi. Lebst du schon immer hier?«
»Immer!«, nickte sie.
»Immer allein?«
Sie schüttelte schnell den Kopf und sagte wieder: »Schöner Peter.«
»Wie alt bist du?«, fragte ich.
Ihr Blick verlor sich. »Weiß nicht.«
»Sie ist bestimmt schon neunzig«, meinte Vera. »Sie kann sich nicht erinnern.«
»Da bin ich mir nicht sicher.« Ich stand auf und ging zum Wagen. Dort nahm ich mein Handy und wählte die Nummer von Detlev Horch, der viele Menschen in der Umgebung als Hausarzt betreute. Ich fragte: »Kennst du eine alte Dame, die in einem uralten kleinen Haus neben der Strumpffabrik in Kerpen wohnt?«
»Aber ja«, antwortete er und lachte. »Normalerweise nicht mein Einzugsgebiet. Aber alle Ärzte hier kümmern sich um die alte Klara. Nebenbei gewissermaßen. Sie ist fast so etwas wie ein Wahrzeichen der Eifel.«
»Wie alt ist sie wohl?«
»Soweit wir das wissen, muss sie inzwischen siebenundneunzig sein. Und putzmunter dabei.«
»Hat sie früher Familie gehabt? Sie nennt mich Peter.«
»Bist du auch ein schöner Peter?«, kicherte Detlev. »Das schmeißt sie durcheinander. Ihr Sohn hieß Peter. Sie nennt alle Leute, die sie mag, schöner Peter. Der Sohn ist längst gestorben. Wenn sie jemanden nicht mag, nennt sie ihn Hans-Gerd. Das war der Ehemann. Der ist im Zweiten Weltkrieg geblieben. Seit dem Tod ihres Sohnes lebt sie ganz allein, aber ich habe den Eindruck, sie ist glücklich damit. Und mit den Ziegen. Was willst du von ihr?«
»Eigentlich will ich nur wissen, welche Autos und welche Leute sie
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