Eifel-Wasser
startete Richtung Ulmen.
Als Rodenstock neben mir hockte und wir losrollten, murmelte er: »Irgendetwas an der ganzen Sache stört mich. Aber ich weiß nicht, was es ist.«
»Auf jeden Fall kennen wir nun gewichtige Motive«, wandte ich ein.
»Hm«, knurrte er nicht wirklich überzeugt. »Ich würde für mein Leben gern mit diesem Schwanitz reden. Ich mag solche Killertypen. Sie sind so strikt und berechenbar.«
Wir hatten herausgefunden, dass die Eltern von Holger Schwed in der Mittelstraße wohnten, einer ruhigen Wohnstraße. Das Haus war rührend klein, hatte sicher nicht mehr als sechzig Quadratmeter Wohnfläche und wirkte verkommen, die ehemals weiße Fassade war schmutzig grau, sämtliche Rollläden waren runtergelassen und zwei im ersten Stock nur noch Stückwerk. Der Vorgarten schien nicht gepflegt, die Ziersträucher waren unbeschnitten, ein mit Verbundsteinen gepflasterter Weg war von Gestrüpp überwuchert und nicht mehr zu erkennen. Und in den Beeten und auf dem Rasen fand sich alles wieder, was die Passanten auf der Straße in den letzten sechs Monaten weggeworfen hatten: Plastikbecher, Bonbonpapiere, Stanniol von Schokoladenriegeln, Postwurfsendungen, Zigarettenschachteln.
»Oh, oh«, sagte Rodenstock.
Die Klingel hing an ihren Drähten aus der Halterung heraus. Wir benutzten sie trotzdem.
Der Mann, der uns öffnete, war groß, mächtig und schwabbelig, hatte ein weiches, unrasiertes Gesicht und war ungefähr fünfundvierzig Jahre alt. Er trug ein Unterhemd, das einmal weiß gewesen war, und er erinnerte mich sofort an den Polen aus Tennessee Williams' Endstation Sehnsucht.
»Ja, bitte?«, fragte er abweisend und starrte uns misstrauisch an.
»Wir hätten gern einige Auskünfte«, sagte Rodenstock.
»Das geht nicht. Presse, was? Ich habe mit RTL einen Vertrag. Wir dürfen keine Auskünfte geben, meine Frau und ich. Exklusivrecht, Sie wissen, was das heißt, wenn Sie von der Presse sind.«
»Wir sind nicht von der Presse, wir sind Freunde von Heiner Breidenbach. Sie können ihn anrufen«, entgegnete Rodenstock bescheiden.
Ich kannte solche Typen, als Journalist begegnet man ihnen immer wieder, und wusste, wie sie funktionierten. Ich griff mein Portemonnaie, nahm einen Hunderter heraus und sagte zurückhaltend: »Wir kommen natürlich für Ihre Kosten auf.« Dann nahm ich die knubbelige Hand und drückte den Geldschein hinein.
»So? Na ja, wenn das so ist.« Er ließ den Schein in seiner rechten Hosentasche verschwinden. »Ja, dann kommense man rein. Wieso ist Heiner denn nicht bei Ihnen?«
»Der ist total fertig, der musste sich mal hinlegen«, sagte ich.
Schwed nickte. »Wir sind auch am Ende. Wir grübeln und grübeln.« Auf Filzlatschen marschierte er vor uns her in ein kleines abgedunkeltes Wohnzimmer, in dem eine einzige Funzel unangenehm gelbes Licht streute. Auf einer Bank vor einem großen Fenster kümmerten Mengen von Grünpflanzen vor sich hin. Davor saß eine Frau in einem wippenden Lehnstuhl und drehte müde den Kopf.
»Das ist meine Frau«, stellte der Mann vor.
Er setzte sich auf ein Sofa, wir nahmen jeder einen Sessel. Es roch nach Bier, Fusel und kaltem Zigarettenrauch. Es roch so, als habe die letzte Portion Frischluft diesen Raum erreicht, als das Haus im Rohbau stand.
Die Frau rauchte mit langsamen Bewegungen und sog den Rauch tief ein. Ihr Gesicht wirkte alt, sie hätte sechzig sein können, aber wahrscheinlich war sie zwanzig Jahre jünger. Sie sagte monoton: »Ja, ja«, und schwieg dann.
»Also, was wollt ihr wissen?« Der Mann drückte den Kronkorken von einer Flasche Bier und trank daraus. »Auch eine Pulle?«
»Wir trinken nicht«, lehnte Rodenstock ab. Ich sah förmlich, wie er in Gedanken Anlauf nahm, um diesem Vater eines toten Jungen in den Arsch zu treten und den Schuh stecken zu lassen.
»Hatte Holger eine Freundin?«, fragte ich.
»Nee!«, antwortete die Frau schnell und schroff. Sie griff nach einem Wasserglas mit einer hellen Flüssigkeit und trank davon. Kleine Schlucke, ich vermutete, es war Schnaps. »Holger konnte Frauen jede Menge haben. Aber er wollte ja nicht. Er kriegte ja Bafög und studierte und sagte: Frauen sind im Moment nicht mein Thema. Aber er sah ja gut aus und er hätte alle haben können. Manchmal haben sie uns hier die Bude eingerannt. Also nicht, dass er ein Kostverächter war. Hin und wieder vernaschte er eine, mein Kleiner.
Junge Bullen müssen sich die Hörner abstoßen, sagt man ja auch. Aber das waren Eintagsfliegen, waren
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