Eifel-Wasser
Das war Absicht, das kann kein Unfall gewesen sein.«
Er wollte dichtmachen: »Na ja, Sie müssen das ja wissen.«
»Ich weiß das«, nickte ich. »Aber ich weiß so wenig über diesen Holger Schwed. Wie war er so?«
»Na ja, in Frankfurt sagten wir Mücke zu so einem. Er war kein besonderer Typ. Ich meine, er hatte eben beschissene Eltern. Bei so welchen lernst du ja nicht leben, du lernst nur überleben. Vielleicht war er Breidenbachs Solostricher oder so. Jeder muss ja sehen, wo er bleibt. Also, was ist, verkaufen Sie das Tagebuch? Mein Chef würde sich freuen. Er würde viel Geld rüberkommen lassen.«
»Wieso ist das so wichtig für ihn?«, fragte ich direkt.
»Na ja, es wird Gerichtsverfahren geben, das ist mal sicher. Lamm ist dran wegen dieses Zeugs, das ins Wasser gelangt sein soll. Und meinen Chef können sie drankriegen, weil ihm mal der Bohrer zu tief gerutscht ist ...«
»O nein«, unterbrach ich ihn wütend. »Junge, du musst mich hier in Gottes schöner Welt nicht verscheißern. Dein Chef ist nicht dran, weil ihm der Bohrer zu tief gerutscht ist, was ein niedlicher Ausdruck für eine kriminelle Handlung ist. Dein Chef ist dran, weil er die zu tiefe Bohrung jede Nacht anzapft und jede Nacht Millionen Liter Sprudel nach Belgien schafft und dort und anderswo als Billigwasser verscherbelt.«
Ich sprach immer langsamer und tiefer, und einen Augenblick lang befürchtete ich, Abi würde einfach zuschlagen, aufstehen und gehen. Ich kannte diese hitzigen Typen, die in jedem Kiez der Welt zu Hause sind und die sämtliche Auseinandersetzungen ihre Lebens am liebsten mit bloßen Fäusten oder wenn nötig auch mit Schießeisen austragen. Ich bremste mich und schob nach: »Das soll jetzt nicht so klingen, als sei ich sauer auf dich. Bin ich nicht. Wahrscheinlich bin ich sauer auf mich selbst, weil ich nie an der Kasse stehen und das Bare in meine Tasche schieben konnte. Es geht mir wie dir: Ich ackere und andere machen die große Kohle.«
Er begriff und wurde plötzlich sanftmütig. »Tja, so ist das eben. Unsereiner kann sich nur an einen Hai hängen und von den Abfällen leben. Was wollen Sie denn nun für dieses Tagebuch haben?«, kam er zum Punkt.
»Habe ich nicht drüber nachgedacht. Erst mal war ich froh, dass ich es überhaupt entdeckt habe. Es war in seinem Büro versteckt. Da steht alles Mögliche drin. Zum Teil wirklich schlimme Sachen. Hm, ich denke, die Blätter haben den Wert eines kleinen Häuschens. So dreihunderttausend. Aber: Das kannst du deinem Chef ausrichten: nur Schwarzgeld. Was anderes kommt mir nicht in die Tüte.« Nimm es und schluck es.
»Kann man denn mal ein Stück lesen? Das muss mein Chef schon, nicht wahr?«
»Kann er.«
Irgendwo in unserer Nähe rauschten NATO-Bomber über den Himmel, schnell und tief. Die Jungen spielten Fangen.
»Sag mal«, wechselte ich noch mal das Thema, »was ist eigentlich in der Nacht von Donnerstag auf Freitag passiert? Und erzähl mir nicht, du seist nicht hier gewesen. Also, was war hier los?« Ich grinste, so fröhlich ich konnte.
Abi starrte mich intensiv an und überlegte lange. Schließlich erwiderte er mit Blick in das Eifler Himmelsblau: »Meine Leute wollten wissen, was Breidenbach vorhatte. Nicht dass wir was gegen ihn hatten, aber wir wollten nur sichergehen. Sonst nix.«
»Schön. Und wen traf er an dem Abend?«
»Na ja, Schwed und dann Messerich.«
»Und das mit dem Felsabgang war eine Panne, was?«, ich grinste wieder.
»Und wie!«, sagte er und grinste ebenfalls. »Weißt du, ich habe das Mikro an einer langen Leine runtergelassen und hatte Kopfhörer auf, um die Aufnahmen kontrollieren zu können. Doch der Regen war so laut, dass ich kaum etwas verstand. Und irgendwann verstand ich gar nichts mehr. Ich fluchte und trat näher an den Rand.« Er deutete mit der linken Hand auf die Abbruchkante. »Und plötzlich hat ein Stein nachgegeben und ist runtergeknallt. Und dann war nur noch Chaos. Ich habe die Klamotten zusammengepackt und bin abgehauen.«
»Wie spät war es denn da?«
»Ziemlich genau elf Uhr«, gab er locker Auskunft. »Bei Tina war noch auf und ich habe mir einen Grog nach dem anderen bestellt, damit ich keine Erkältung kriege.«
»Wer war denn um diese Zeit noch unten am Zelt?«
»Breidenbach und Messerich. Schwed war schon weg, die rassisch versaute Bande nicht mehr komplett.«
»O Mann, hör mit diesem Scheiß von rassisch versaut auf. Das geht mir auf den Keks.«
»Aber ein deutscher Mann tut so was
Weitere Kostenlose Bücher