Eifelheiler (German Edition)
spürte die Verzweiflung seines Kollegen, trotz der Jahre,
die seit dem schrecklichen Ereignis vergangen sein mussten. Am liebsten hätte
er ihn in den Arm genommen und getröstet, doch er wusste, dass Fischbach es
niemals zulassen würde.
»Meine Tochter war erst neun, ein süßer Fratz. Wir hatten keinerlei
Probleme mit ihr. Bea und ich waren so stolz auf sie.« Fischbach starrte vor
sich hin, er schien direkt in die Vergangenheit zu blicken. »Und Bea, ja, die
war wieder schwanger. Im fünften Monat. Wir freuten uns sehr darauf. Das
Kinderzimmer hatten wir schon eingerichtet. Damals noch in der Gielsgasse, da
hatten wir ein Häuschen gemietet. Mein Vater kannte den Besitzer, er hatte uns
einen guten Preis gemacht. So kamen wir mit meiner kleineren Besoldung ganz gut
über die Runden.« Fischbach schwankte.
Welscher wappnete sich, ihn zu stützen. Doch es war nur eine kurze
Unsicherheit.
»Damals habe ich viel zu viel gesoffen«, erzählte Fischbach weiter.
»In der Woche ging es noch, mal ein Bier bei der Gartenarbeit oder abends vor
dem Fernseher, alles im Rahmen. Aber wenn es etwas zu feiern gab, dann stand
ich meinen Mann, da ließ ich mir nicht die Butter vom Brot nehmen.«
Das kannte Welscher aus eigener Erfahrung. Im Kollegium wurde man
auf Betriebsfeiern schief angesehen, wenn man nicht mitzog. Und wenn Dorfkirmes
war, zumindest damals, vor seinem Coming-out, war es noch heftiger. Dort hatten
sie ihn sogar mal zwangsabgefüllt. Sein Vater hatte ihn in der Nacht ins
Krankenhaus fahren müssen. Alkoholvergiftung. Seitdem hatte er keinen Tropfen
mehr angerührt. Was andere Männer daran fanden, sich zu besaufen und andere
unter den Tisch zu trinken, würde er wohl niemals verstehen.
»An dem Nachmittag waren wir auf der Geburtstagsfeier meines Onkels.
Bei uns in der Familie ging es immer hoch her, mein Onkel brannte selbst. So
soffen wir bis in den späten Abend, und ich Großmaul war immer vorn mit dabei.
Als es Zeit wurde zu fahren, bat ich um einen Kaffee.« Fischbach fuhr sich mit
einer Hand über das Gesicht, als ob er damit die schlimmen Erinnerungen
vertreiben könnte. »Bescheuert, oder? Als ob das die Fahrtüchtigkeit
wiederherstellen könnte.« Er lachte traurig.
»Hat dich denn niemand abgehalten? Konnte euch sonst keiner nach
Hause bringen?«
Fischbach schüttelte den Kopf. »Bea hatte keinen Führerschein. Aber
ich hätte sie ohnehin nicht fahren lassen. Ob du es glaubst oder nicht: Ich
fühlte mich großartig.«
Welscher verstand. Den Kontakt zu Angetrunkenen konnte er in seinem
Beruf nicht vermeiden. Er kannte die vom Alkohol verursachte
Selbstüberschätzung nur zu gut.
»Taxi?«
»Ich fühlte mich bestens«, bekräftigte Fischbach. »Warum hätte ich
ein Taxi rufen sollen?«
»Und deine Frau? Hat sie denn nicht protestiert?«
»Es war … normal. Sie war daran gewöhnt.« Fischbach seufzte. »So
waren die Zeiten.«
»Verstehe.«
»Wir fuhren also los, Bea auf dem Beifahrersitz. Meine Tochter
schlummerte friedlich auf der Rückbank, ohne Sicherheitsgurt, den gab es in dem
alten Capri noch nicht. Selbstverständlich fuhr ich zu schnell, viel zu
schnell. Bea wies mich darauf hin, ich lachte sie aus, nannte sie Hasenfuß, gab
noch mehr Gas.« Fischbach brach ab.
Welscher spürte, dass sein Kollege die schrecklichen Sekunden gerade
ein weiteres Mal durchlebte.
»Viele Unfallopfer können sich hinterher nicht mehr erinnern. Bei
mir ist es anders. Leider. Ich sehe die Kurve auf mich zukommen, spüre das
Lenkrad in der Hand, die Überraschung, als das Heck ausbricht, die
Verzweiflung, als ich spüre, dass ich den Wagen nicht mehr unter Kontrolle
habe. Dann der Aufprall, Beas Schrei, das Knirschen des Blechs, die
Überschläge, die anschließende Stille.«
Welscher schluckte. Er wischte sich mit dem Handrücken die Tränen
aus den Augenwinkeln.
»Sie waren beide tot. Eine Scherbe hatte Beas Halsschlagader
aufgeschlitzt. Meine Tochter fand ich hangaufwärts. Sie war bereits bei dem
Aufprall auf den Baum aus dem Wagen geschleudert worden. Genickbruch.«
Fischbach verstummte. Das Zittern seiner Hände war stärker geworden.
Schnüffel rieb sich an seinem Bein und sah mit traurigen Augen zu ihm auf, als
ob er spürte, dass sein Herrchen Zuspruch und Trost bedurfte.
Ächzend ging Fischbach in die Knie und streichelte sein Schwein.
»Und du?«, fragte Welscher. »Was war mit dir?«
»So gut wie unverletzt. Ein paar Prellungen, eine Platzwunde am
Kopf.« Er hob seinen Scheitel an. Eine
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