Eigentlich bin ich eine Traumfrau
schlafen? Ich habe keine Lust, noch S-Bahn zu fahren«, fragt sie.
»Klar«, sage ich eifrig.
Sie lacht. »Aber auch wenn es dunkel ist und wir unter einer Bettdecke liegen â ich beantworte keine Fragen zu Mr. X.«
Sie kennt mich einfach zu gut. Schade. Aber es gibt genug andere Dinge, die zu bereden sind. Wir sind uns einig, dass sich Tanja und Hrithik wieder vertragen müssen. Bei allen Unterschieden zwischen ihnen haben wir doch das Gefühl, sie seien füreinander bestimmt.
»Aber mal ehrlich«, sagt Toni, »auch wenn es uns nicht passt. Das romantische Ideal wurde doch in einer Zeit entwickelt, in dem die Leute kaum älter wurden, als wir jetzt sind. Da war es ja noch leicht, sich ewige Treue zu schwören, und selbst da hat es nicht immer geklappt.«
Böse, zynische Toni.
»Aber Liebe ist doch auch eine Frage der Entscheidung. Wenn man jemanden gefunden hat, den man so sehr liebt, dass man es mit ihm versuchen will, muss man eben daran arbeiten. Und wenn man sich gemeinsam weiterentwickelt, dann ist es doch so, als wäre man quasi immer wieder mit jemand Neuem zusammen«, verteidige ich meine Ideale.
Man muss einfach nur offen füreinander bleiben, den anderen immer wieder bewusst als eigenständiges Wesen
wahrnehmen â lauten zumindest die Rezepte für ewige, treue Liebe in den Zeitschriften. Andererseits liefern Letztere genauso regelmäÃig Anleitungen zum unbemerkten Fremdgehen.
»Gut, dass die untreuen Männer die nicht lesen«, erkläre ich Toni, nachdem ich sie in meine Gedankengänge eingeweiht habe, »dann können wir sie immer noch daran erkennen, dass sie plötzlich Blumen mitbringen oder ins Fitnessstudio rennen.«
»Ja, aber die finden doch ihre Affären längst übers Internet. Die meisten Männer sind doch total faul. Wie sollen die es neben Arbeit und Ehefrau noch schaffen, das Annäherungsspielchen zu spielen. Vorsichtiges Rantasten ist nicht mehr. Einfach nur Klick und Peng, direkt über eine Seitensprungagentur.«
Das ist ja entsetzlich. Das denkt sie sich doch nur aus? Andererseits würde ein so zielgerichteter Umgang mit dem Betrug ja wohl auch bedeuten, dass zumindest die dämliche Ausrede, es sei einfach so passiert, nicht mehr zieht. Ach, es wird den Menschen einfach zu leicht gemacht, die Lust auÃer Haus zu suchen. Oder ist es inzwischen normal, für die schnelle Nummer in der Mittagspause eine Internetbekanntschaft aufzusuchen, wie es normal ist, sich gelegentlich zwischendurch eine Currywurst reinzuziehen, anstatt brav auf Muttis Selbstgekochtes am Abend zu warten? Ging es bei dem groÃen Gefühl, das mir bislang die ganze Welt anzutreiben schien, nur um die bloÃe Befriedigung von Grundbedürfnissen? Hat unsere vermaledeite Gesellschaft den puren Vermehrungstrieb vielleicht nur mit so viel romantischer Bedeutung aufgeladen, um unser sattes,
westliches Leben ein wenig zu verkomplizieren? Ein deprimierender Gedanke. Es kann doch nicht reine Einbildung sein, dass Sex mehr als nur eine Frage der hormonellen Einstellung und der richtigen Reibung ist. Er kann in elysische Gefilde führen, wenn dabei verwandte Seelen schwingen. Womöglich bin ich aber auch einfach nur prüde?
»Meinst du vielleicht, es wäre nicht so klug, wenn ich mich für morgen mit Rafael verabrede?« Das ist natürlich eine rein rhetorische Frage.
»Bloà nicht! Den musst du jetzt hängen lassen. Wenn er dann noch mal anruft und um ein weiteres Date bettelt, kannst du irgendwann nachgeben. Aber bitte überleg es dir echt gut. Ich habe keine Lust, dass irgend so ein süÃholzraspelnder Literatendepp dich verletzt.«
Sie liegt zwar meilenweit daneben, was den Depp angeht, aber ihre Sorge rührt mich. Ich gebe ihr einen Gutenachtkuss auf die Wange.
»Ich möchte auch nicht, dass dich jemand verletzt.«
Ich nehme mir felsenfest vor, niemals für einen Mann meine Freunde zu vernachlässigen. Was bleibt denn am Ende sonst noch? Wohl nicht der Sex, auch nicht die Liebe. Im Altersheim sind die Highlights dann zu Akkordeonklängen singen und Bingo spielen. Ein fröhliches Altern gemeinsam mit Toni, Tanja, Peter und Hrithik kann ich mir aber wunderbar vorstellen. Etwas irritierend hingegen erscheint mir das Bild von einem ergrauten Lebenspartner, mit dem man in schweigender Eintracht am Ententeich des Seniorenheims entlangzuckelt.
S chon wieder eine neue
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