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Eighteen Moons - Eine grenzenlose Liebe (German Edition)

Eighteen Moons - Eine grenzenlose Liebe (German Edition)

Titel: Eighteen Moons - Eine grenzenlose Liebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kami Garcia , Margaret Stohl Inc.
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Minute vor Ammas Zimmertür, ehe ich anklopfte. Amma eine Antwort zu entlocken, war wie Zähneziehen bei einem Alligator. Sie hatte immer Geheimnisse. Das gehörte zu ihr wie die Zimtpastillen und die Kreuzworträtsel, wie ihre Schürze mit den vielen Taschen und ihr Aberglaube. Wahrscheinlich gehörte all das zu einer richtigen Seherin. Und doch war es diesmal anders.
    Ich hatte bisher nie erlebt, dass sie an Thanksgiving den Herd sich selbst überlassen hätte, während der Truthahn noch schmorte und ihre Kuchen noch in der Backröhre waren, ganz zu schweigen davon, dass sie jemals auf die Zitronen-Baisers für Onkel Abner verzichtet hätte. Es war Zeit, dass ich mir die Kniescheiben wachsen ließ.
    Ich klopfte an.
    »Komm schon rein, oder willst du da draußen herumstehen, bis der Teppich ein Loch hat?«, rief sie aus ihrem Zimmer.
    Ich machte die Tür auf und rechnete damit, wie immer Regalreihen voller Einmachgläser gegenüberzustehen, in denen Amma alles aufhob, von Steinsalz bis zu Friedhofsstaub. Dazu Bücherregale, die vollgestopft waren mit vielgelesenen brüchigen Lederfolianten und Notizbüchern, die Ammas Rezepte enthielten. Es war noch gar nicht so lange her, dass mir zum ersten Mal gedämmert war, dass diese Rezepte vielleicht gar keine Kochrezepte waren. Ammas Zimmer hatte mich schon immer an eine Apotheke erinnert, die geheime Heilmittel für alles bereithielt – so wie Amma selbst auch.
    Aber heute war es anders. Im Zimmer herrschte ein ähnliches Chaos wie in meinem, nachdem ich den Inhalt von zwanzig Schuhschachteln über den Boden verteilt hatte. Anscheinend suchte auch Amma etwas und fand es nicht.
    Die Flaschen, die sonst immer sorgfältig aufgereiht auf den Regalen standen, mit dem Etikett nach vorne, hatte sie achtlos auf ihrer Kommode abgestellt. Bücher stapelten sich auf dem Fußboden, auf dem Bett, überall, nur nicht in den Regalen. Manche waren aufgeschlagen – alte Tagebücher, handgeschrieben in Gullah, der Sprache ihrer Vorfahren. Und ich entdeckte Dinge, die ich zuvor noch nie in diesem Zimmer gesehen hatte. Schwarze Federn, Zweige und einen Korb voller Steine.
    Und mitten in dem ganzen Durcheinander saß Amma.
    Ich trat ein. »Was ist denn hier passiert?«
    Sie streckte mir die Hand hin, und ich half ihr, aufzustehen. »Nichts ist passiert. Ich räume auf. Es würde nicht schaden, wenn du das auch mal in dem Saustall machen würdest, den du dein Zimmer nennst.« Sie zwängte sich an mir vorbei. Gleich würde sie auf dem Weg in die Küche sein.
    »Was stimmt mit mir nicht?«, platzte ich heraus.
    Amma blieb wie angewurzelt mit dem Rücken zu mir stehen. Einen Moment lang hielt sie den Atem an, dann sagte sie: »Bei einem siebzehnjährigen Jungen stimmt vieles nicht. In dem Alter laufen die Dinge mehr schlecht als recht.«
    »Redest du davon, dass ich jetzt mit der falschen Hand schreibe und dass ich Schokomilch und deine Rühreier nicht mehr ausstehen kann? Dass ich die Namen von Leuten vergesse, die ich zeit meines Lebens kenne? Meinst du das?«
    Amma drehte sich langsam um, ihre braunen Augen blitzten. Hastig steckte sie die Hände in die Schürzentaschen, damit ich nicht merkte, dass sie zitterten.
    Was auch immer mit mir los war, Amma wusste Bescheid.
    Sie holte tief Luft, und für einen Moment glaubte ich, sie würde es mir endlich sagen. »Ich weiß von nichts. Aber ich … ich werde der Sache auf den Grund gehen. Vielleicht liegt es an der Hitze und diesem verdammten Ungeziefer und den Problemen, mit denen sich die Caster herumschlagen.«
    Sie log. Es war das erste Mal, seit ich sie kannte, dass Amma geradeheraus geantwortet hatte. Und das war erst recht verdächtig.
    »Amma, warum sagst du es mir nicht? Was weißt du?«
    »Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.« Sie sah mich herausfordernd an. Es war ein Vers aus einem Kirchenlied, das ich in meiner Kindheit immer im Gottesdienst gehört hatte, während ich kleine Papierkügelchen kaute, um nicht einzuschlafen.
    »Amma.«
    »Welchen Trost verspricht dies süße Wort.« Sie legte mir die Hand auf den Rücken.
    »Bitte.«
    Jetzt sang sie lauthals, was sich völlig verrückt anhörte. So klang man, wenn man Angst hatte, dass etwas Schreckliches passieren würde, und man sich einreden wollte, es sei nur blanker Unsinn. Das Entsetzen bemächtigte sich der Stimme, obwohl man glaubte, es verdrängt zu haben.
    Aber Entsetzen kann man nicht verdrängen.
    »Er lebt, er lebt, der einst gestorben war.« Sie schob mich aus dem Zimmer.

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