Eighteen Moons - Eine grenzenlose Liebe (German Edition)
uns verändert. Das verstand ich jetzt.
Aber auch Gatlin hatte sich verändert und das war schwerer zu verstehen.
So harrte ich in der Kirchentür aus und ließ es geschehen. Ich ließ es geschehen, weil mir nichts anderes übrig blieb. In wenigen Tagen war der Achtzehnte Mond. Wenn Lena und ich nicht herausfanden, wen die Lilum mit dem Einen, der Zwei war, gemeint hatte, dann konnte niemand vorhersagen, welche Veränderungen noch auf uns warteten. Vielleicht war der Leichenwagen doch ein Vorzeichen dessen gewesen, was kommen würde.
Wir hatten viele Stunden im Archiv der Bibliothek und in den Lunae Libri verbracht, aber nichts gefunden, was uns weiterhelfen konnte. Sobald die Beerdigung vorüber war, würden Lena und ich wieder ins Archiv gehen, so viel stand fest. Es blieb uns nichts anderes übrig, als noch einmal unser Glück zu versuchen. Egal wie aussichtslos die Sache schien.
Man kann seinem Schicksal nicht entrinnen .
Waren das nicht immer die Worte meiner Mutter gewesen?
»Ich sehe keine Pferdekutsche. Weiße Pferde, so steht es in meinem Brief.« Ich hätte diese Stimme überall wiedererkannt.
Tante Prue stand neben mir. Keine in Licht getauchte Gestalt, kein schimmernder Schemen, sondern Tante Prue, so klar und deutlich wie der helle Tag. Wenn sie nicht dieselben Kleider angehabt hätte wie bei ihrem Tod, hätte ich sie glatt für einen Trauergast auf ihrer eigenen Beerdigung gehalten.
»Na ja, es war etwas schwierig, eine Kutsche aufzutreiben. Du bist eben nicht Abraham Lincoln.«
Sie überging meinen Einwand. »Ich dachte, ich hätte unmissverständlich klargemacht, dass Sissy Honeycutt ›Amazing Grace‹ singen soll, genauso wie beim Trauergottesdienst für Charlene Watkins. Ich sehe sie aber nirgendwo. Allerdings muss ich sagen, dass diese Burschen hier wirklich kräftig blasen. Das gefällt mir.«
»Sissy Honeycutt wollte nur singen, wenn wir auch Eunice einladen.« Mehr musste man Tante Prue nicht sagen. Wir wandten unsere Aufmerksamkeit wieder den Dudelsackspielern zu. »Ich habe den Verdacht, das ist das einzige Kirchenlied, das sie spielen können. Ich bin mir nicht mal sicher, ob sie Südstaatler sind.«
Sie lächelte. »Natürlich sind sie keine.« Sie ließ ihren Blick über die versammelten Menschen schweifen. »Und es ist eine stattliche Menge gekommen. So viele habe ich seit Jahren nicht gesehen. Mehr Leute als bei allen meinen Ehemännern zusammen.« Sie sah mich an. »Meinst du nicht auch, Ethan?«
Ich lächelte. »Ja, Ma’am. Eine stattliche Menge.« Ich nestelte am Kragen meines Anzughemds. Bei siebenunddreißig Grad Winterhitze wurde ich fast ohnmächtig. Aber das verschwieg ich ihr.
»Und jetzt zieh dein Jackett an und erweise den Toten den gebührenden Respekt.«
Amma und mein Vater hatten einen Kompromiss geschlossen, was die Grabrede anging. Amma wollte keine halten, stattdessen wollte sie ein Gedicht vorlesen. Als sie uns schließlich sagte, um welches Gedicht es sich handelte, dachte sich niemand etwas dabei. Es hieß für uns nur, dass wir gleich zwei Punkte auf Tante Prues Liste abhaken konnten.
»O bleibe Herr, der Abend bricht herein,
bald wird es Nacht, o lass mich nicht allein!
Wenn alles flieht und jede Stütze bricht,
du, der Verlassnen Hort, verlass mich nicht!
Gar schnell des Lebens kurzer Tag entweicht,
der Erde Lust wird welk, ihr Glanz erbleicht,
rings starrt Verwesung mir ins Angesicht,
Unwandelbarer, du, verlass mich nicht.«
Die Worte trafen mich wie Gewehrkugeln. Die Finsternis der Nacht würde kommen, die Dämmerung des Abends über uns hereinbrechen. Es waren nicht nur Stützen, die brachen, und es war mehr als des Lebens kurzer Tag, der entwich.
Amma hatte recht. Und auch der Typ, der diese Zeilen geschrieben hatte. Um mich herum nur Wandel und Verwesung.
Aber falls es diesen Unwandelbaren gab, dann würde ich ihn nicht einfach nur bitten, mich nicht zu verlassen.
Ich würde ihn bitten, mich zu erretten.
Als Amma das Blatt wieder zusammenfaltete, konnte man eine Stecknadel fallen hören. Sie stand vorne auf dem Podium und sah auf einmal aus wie Sulla, die Prophetin. Erst jetzt wurde mir bewusst, was sie getan hatte.
Es war kein Gedicht, so wie sie es vorgetragen hatte. Es war auch kein Kirchenlied.
Es war eine Prophezeiung.
Zweierlei
20.12.
Ich stand auf dem Dach des weißen Wasserturms und kehrte der Sonne den Rücken zu. Mein kopfloser Schatten fiel auf das warme, lackierte Metall und verschwand dann irgendwo im Himmel.
ICH
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