Ein abenteuerliches Herz
die Personen wie auch ihre Ausstattung bewegten sich noch in den Bereichen einer unerschöpflichen, quasi spermatischen Möglichkeit.
Kopfzerbrechen bereitet mir auch das Antiquariat Lafaire. Der alte Lafaire führte es am hannoverschen Stadtwall in der Nähe des Rathauses, an das damals noch nicht einmal gedacht wurde. Es war eines der klassischen Antiquariate in einem verstaubten Gewölbe, das zum Schmökern einlud; ich war vor dem Ersten Weltkrieg nicht selten mit meinem Vater dort, besitze auch noch einige unserer damaligen Erwerbungen, zum Beispiel Meyers Konversations-Lexikon von 1874 in sechzehn Bänden für ganze zehn Mark.
Lafaire muß später ins Zentrum umgezogen sein. Ich kaufte bei ihm Bücher, wenn ich während des Zweiten Krieges auf Urlaub war. Die Auswahl war nicht mehr groß. Auch sein Sohn war Antiquar geworden, Spezialist für erlesene Orientalia. Ich habe sein Geschäft nur einmal besucht und entsinne mich dunkel eines guten Gesprächs. Das Haus stand am Thieleplatz, der damals einige Jahre lang den Namen meines Regimentskameraden Rust führte, der 1945 Selbstmord beging. Der junge Lafaire verbrannte kurz nach dem Ende des Zweiten Krieges in einem schnell fahrenden Lieferwagen; er konnte nicht mehr hinausspringen. Der Vater hat seinen Tod noch erlebt. Das war in diesen Wochen, wo alles drüber und drunter ging, nur eine Schreckensnachricht mehr.
Wie steht es nun aber mit dem Nobelantiquariat Lafaire in der Potsdamer Straße, in dem ich so manches Mal während meiner Berliner Zeit geweilt habe? Ich frequentiere es heute noch, gehe selten an ihm vorbei, ohne am Schaufenster die Auslagen zu studieren, trete auch zuweilen ein und nehme eines der gepflegten Bücher in die Hand. Alles ist wie vordem in Hannover, doch heller und leichter in den Konturen, wie durch Kristall gesehen. Freilich gab es nie einen Lafaire in Berlin. Das Geschäft existiert nur in meiner Traumwelt, wie auch andere Häuser und ganze Stadtviertel.
Durchaus real war jedoch auf der rechten Seite der Potsdamer Straße die Buchhandlung, in der ich das Hauptwerk des Wiener Entomologen Ganglbauer erstand; es muß kurz nach Beginn des Dritten Reiches gewesen sein. Der Chef war nicht anwesend; ein junger Gehilfe reichte mir von der Leiter die Bände hinab. Er mußte mich kennen, denn er sagte: »Ihre Bücher sind sauber« – ich konnte mir darauf keinen Reim machen, bis ich erfuhr, er wolle noch in dieser Woche das Land verlassen; Palästina sei das Ziel. Ich wünschte ihm Gute Reise; den Ganglbauer gab er mir weit unter Preis.
POST FESTUM, 1983
Achtzig Jahr alt zu werden, ist kein Verdienst. Wohl aber ist es eine Leistung in diesem, unserem Jahrhundert, das als ein Zeitalter großer Wirren und Übergänge in die Geschichte eingehen wird. Persönlich hatte ich an ein solches Alter nicht gedacht, es nicht einmal erhofft. Dreißig Jahre schienen mir schon enorm. Wäre in meiner Jugend ein Dämon gekommen, sie mir anzubieten und keinen Tag darüber, so hätte ich mit ihm paktiert. Ich denke dabei nicht an die Gefahren des Ersten Weltkrieges. In dieser Hinsicht war ich Optimist. Doch die vitale Ladung drohte die Individualität zu sprengen; sie schien eher für eine Rakete als für ein Fahrzeug angelegt. Indessen weiß unsere Zeit ja beides zu verbinden: Konstanz im Explosiven ist eines ihrer Kennzeichen. Aderlässe muß man in Kauf nehmen.
Neben der Unruhe des geborenen Widders plagte mich von Anfang an das Gefühl, der herrschenden Ordnung nicht konform zu sein – sei sie politisch durch die Monarchie, die Republiken, die Diktatur bestimmt, sei sie ökonomisch durch den homo faber und seine Trabanten abgeweidet oder theologisch durch Fuchsgeister entmythisiert.
So hatte ich gegen einen immer heftigeren Strom zu schwimmen, meist mit Widerwillen, manchmal auch mit Lust: im Niemandslande, wenn die Dinge elementar wurden – – – doch öfter mit Molières siebenfach wiederholter Frage: »Que diable ai-je à faire dans cette galère?« – Was zum Teufel habe ich auf dieser Galeere zu tun? und das besonders, wenn sie an das Sklavenschiff von Melvilles »Benito Cereno« zu erinnern begann. Wie wenig sich darauf ändert, sieht man, wenn man die Opfer, aber auch, wenn man die Richter vergleicht.
Von Jahr zu Jahr bedrückte mich stärker auch ein Leiden, das Hölderlin dem Hyperion zuschreibt: das Gefühl, ein Fremdling im eigenen Vaterland zu sein. Dafür zeugen an Geist und Körper Stigmen und Narben unglücklicher, doch
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