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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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übertrieben hätte, was uns bevorstünde, und daß ich mich auf eine Expedition gefaßt machen solle? – jedenfalls stand die Aufmachung ihm gut. Mir fiel auf, daß er noch die Tassen vom Tisch trug und das Deckchen faltete. Er dachte also schon an die Abendgäste; das wies darauf hin, daß er mit der Montur bluffte. Freilich gab es auch eine andere Erklärung dafür.
    *
    Wir brachen auf. Nachdem wir die bewohnten Häuser und die Ruinen hinter uns gelassen hatten, öffnete sich eine Fläche, die mit Gebüsch bewachsen war. Merkwürdig war ein Einzelbaum, dessen Höhe noch die des Rieseneukalyptus übertraf. Er mochte der letzte Zeuge des Botanischen Gartens sein, der, wie mir Freddy sagte, in einer der Zwischenzeiten hier geblüht hatte. Diese Bäume können sehr alt werden. Gigantisch auch ein Pilz, der einen Schuttberg krönte; sein Schirm hätte einer Pilgerschar Schutz geboten, um den Stiel spannte sich ein ringförmiger Tisch.
    Auch einige Echsen hatten überlebt; man mußte freilich ihren Biotop kennen, zum Beispiel die Lehmgrube einer Schildkröte. Freddy zeigte sie. Das Tier sei selten geworden, weil Liebhaber ihm nachstellten. Es war wie ein gelehriger Hund auf Kunststücke dressiert. Hatte sich dadurch auch seine Intelligenz verändert? Damals hatten sich die Gelehrten um das Problem gestritten, heut hat man andere Sorgen im Kopf. Unser Exemplar war stattlich; es hatte sich, wie Schildkröten es lieben, um möglichst viel Sonne aufzufangen, schräg an die Lehmwand gestellt. Als wir uns näherten, machte es Männchen wie ein Foxterrier; wir hatten es durch unseren Schatten erschreckt. Es war nicht allein, denn aus der Wand, vor der wir standen, streckte sich eine dunkle Hand hervor. Man mußte das Glied schon Hand nennen, wenn es auch nicht größer als die eines Mulattenembryos war. Freddy schlug mit dem Pickel an die Stelle, und ein Weibchen mit fünf Jungen bröckelte aus dem Lehm. Keines war größer als ein Talerstück.
    Von Freddy, der in Uniform ein Wissen entfaltete, das ich im Bistro nicht vermutet hätte, erfuhr ich, daß diese Gruben die Evolution aufheizten. Früher seien sie ihrer abnormen Bildungen wegen berühmt gewesen, doch später museal geworden, denn man habe Chimären nach Belieben in Laboratorien produziert. Man konnte sie nach Maß bestellen; es gab Kataloge für Liebhaber. Ich hatte davon gehört als von einer Extravaganz der Biotechniker. Man war davon abgekommen; die natürlichen Monster sind schon häßlich genug.
    *
    Seit dem Hinweg hatte die Landschaft sich bedeutend verändert; sie schien sich ausgedehnt zu haben, und der Prozeß setzte sich fort. Offenbar hatte es wieder einen Zeitsprung gegeben; wir waren im Wirbel der Spirale, vielleicht im Kern sogar. Die Hütten waren verschwunden; die Wege hoben sich kaum noch vom Untergrund ab. In der Tat glich unser Spaziergang mehr und mehr der von Freddy vorausgesehenen Expedition. Ich fragte mich, ob er nicht auch noch einen Sextanten und andere Instrumente hätte einpacken sollen, wie sie Alexander von Humboldt am Orinoco gedient hatten. Doch obwohl die Sicht trüb wurde, schien Freddy sich frei zu bewegen wie ein seines Zieles sicherer Pilot.
    Der Montmartre mit seiner Kuppel war den Blicken entschwunden; es gab keine Ortung mehr. Dabei war es noch früh am Nachmittag. Die Nachtigall begann zu schlagen, und Fliegende Hunde umkreisten den riesigen Baum.
    Wurde der Boden nun schwankend, oder begann ich zu taumeln wie beim Aufstehen nach einer schlaflosen Nacht? – es wurde unsicher. Ich tastete mich mit den Füßen über den mürben Tuffstein voran. Die Formen verschwammen – doch nicht im Schiffsnebel in der Manier des genialen Turner, sondern wie durch einen blaßroten Schleier gesehen.
    Ich weiß nicht, warum ich das Zitieren nicht lassen kann, besonders wenn es gefährlich wird. Das mag ein Mangel an Phantasie sein, in Todesnähe auch eine Blasphemie. Die Götter lieben das nicht. Sie fürchten, es könnte sich unsereiner an ihren Tisch setzen. Das sei mir ferne, aber ich lebe stärker in den Büchern als in unsrer erbärmlichen Wirklichkeit. Wo etwas gelungen ist in Worten, Bildern, Melodien, prägt es sich mir ein. Es kehrt im Wirbel wieder, wenn ich des Beistands oder auch nur des Trostes bedarf. Vielleicht gibt es einen Trieb, ein Juwel in die Hand zu nehmen, wenn der Untergang droht. Das ist auch ein Obolos.
    *
    Eigentlich konnte von Gefahr noch nicht die Rede sein, aber es war unheimlich. Das Unheil liegt auf der Lauer;

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