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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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habe es seither noch oft vor jenen starken, frommen und männlichen Bildern der frühen Meister empfunden, auf denen sich durch die geöffneten Fenster von Kirchen und Schlössern ein magischer Hintergrund offenbart, lockend und drohend zugleich von Felstälern, Klippen und Burgen erfüllt. Es ist das Gefühl, dem Geist einer Zeit sehr nahe zu sein, deren Wirklichkeit uns jedoch für immer entschwunden ist. In jeder geprägten Form liegt etwas verschlossen, das mehr ist als Form; eine Zeit hat ihr Siegel hinterlassen, das wieder aufglüht, wenn es vom tieferen Blicke getroffen wird. Dann ist es uns zuweilen, als ob wir die Hand nach einem wunderbaren Traumbild ausstreckten, das in demselben Augenblick erlischt, in dem wir es zu berühren wähnen. Diese Sehnsucht nach einer verschollenen Zeit, nach den leuchtenden Farben, die schon so lange verblaßten, nach der reichen und unbegreiflichen Fülle eines Lebens, das unwiderruflich dahingegangen ist – sie ist weit schmerzlicher und unstillbarer als jene andere, die die Schilderung ferner Inseln und üppiger Länder in uns erweckt.
    Aber immer noch lag etwas von jener Zeit als ein feiner Hauch über der alten Stadt, als ein Medium zwischen Erinnerung und Substanz, das sich in ihren Winkeln gefangen hatte und ihre Häuser wie mit einem bräunlichen Staub zu pigmentieren schien, der, wo ihn ein Sonnenstrahl traf, überraschend aufleuchtete und goldene Ornamente schimmern ließ. Jedesmal, wenn der Frühling das Land eroberte, fand eine märchenhafte Vermählung des Alters mit der ewigen Jugend statt. Die spitzen roten Dächer, in die der Regen im Laufe der Jahre schwarze Streifen gezeichnet hatte, hoben sich reicher aus dem Grün, und der in eine breite Promenade verwandelte Ringwall war von blühenden Kastanien wie von einer Doppelschnur brennender Riesenkandelaber umstellt.
    Über diesen Wall führte mich jeden Morgen mein Weg, um dann in ein Gewirr enger Gassen zu münden, deren Fachwerkhäuser sich fast mit den Giebeln berührten, jenen Giebeln, aus denen noch die behelmten Rollenbalken ragten, an denen man Kaufmannswaren in die Speicher gewunden hatte. Die Stadt hatte früher, obwohl sie tief im Binnenlande lag, der deutschen Hansa angehört. Längst war der große Handel andere Wege gegangen, aber sein Geruch haftete noch in den engen Gassen mit den sonderbaren Namen; oder vielleicht war es nur die Erinnerung an ihn, denn keiner unserer Sinne ist so trügerisch und so an das Verschollene geknüpft. Irgendein Aroma von Spezereien, von Nelkenpfeffer und Koriander, von sagenhaften Fahrten nach Batavia hatte sich eingebürgert, von Lebkuchen, die nach alten Rezepten gebacken sind, vermischt mit dem blassen Dufte des Safrans, der im Rotwein kocht. Dazwischen lagerten in Schichten die handfesteren Gerüche der lebendigen Wirklichkeit, von gegerbtem Leder und frisch gesägtem Holz, der schwere Malzbrodem eines kleinen Brauhauses und der warme Brotdunst aus dem Keller einer Bäckerei. Alle diese Gerüche besaßen ihre strenge Eigenart und waren doch wie jede Erscheinung eines organischen Lebens irgendwie aufeinander abgestimmt; sie waren in keiner Weise zu vergleichen mit dem fahlen Dunst, der sich in unseren modernen Städten eingenistet hat und dessen Bestandteile von desinfizierenden Säuren zerfressen scheinen.
    Viele der Häuser waren mit Schnitzwerk bedeckt, mit schwer zu entziffernden lateinischen Worten, an denen die Kinder buchstabierten, und mit plattdeutschen Torsprüchen in gotischer Schrift, wie eine derbere Zeit sie liebte, mit goldenen Rosen und Sternen auf blauem oder rotem Grund, mit Namen und Jahreszahlen zwischen sonderbar steifem Rankengewirr. Hier war das Handwerk noch lebendig; es hatte seine Sinnbilder über die Tore gehängt, verschnörkelte Fahnen aus geschmiedetem Eisen, einen Reiterstiefel mit vorn ausgeschweiftem Schaft und mächtigem Sporn, ein Fäßchen mit Dauben aus zweierlei Holz, blitzende Kupferkessel und dergleichen mehr. Und was von den Gerüchen zu sagen war, das galt auch für die Menschen, die mir jeden Morgen begegneten. Das waren keine Individuen, wie sie der Strudel der Masse flüchtig an uns vorübertreibt, mit Gesichtern, die wie durch Masken verkleidet sind, so daß uns nach unseren Gängen von vielen Tausenden nicht ein einziges in der Erinnerung haften geblieben ist. Es waren Persönlichkeiten, jeder Einzelne, Leute von Charakter, und sogar von dem kleinen, neugierigen Barbier, der, sowie draußen ein Geräusch erscholl, noch

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