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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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mit dem blanken Messer in der Hand aus seinem Laden auf die Straße stürzte, ließ sich sagen, daß er, wenn auch keinen guten Charakter, so doch immerhin einen Charakter besaß. Und ein schlechter Charakter ist dem farblosen Verdienst gegenüber immer noch so überlegen, wie alle Erscheinungen aus der Welt der Werte denen aus der Welt der Maße überlegen sind.
    Auch die Hauptstraße, die die Stadt in der Mitte durchschnitt, wies noch ein durchaus altertümliches Gepräge auf. Alles, was die beiden letzten Jahrhunderte an Schulen, Kasernen, Villen, Mietwohnungen, Fabriken und Arbeiterquartieren angegliedert hatten, lag außerhalb, weitläufig zerstreut. In die reichen, seit jenen Zeiten recht müde und verdrossen gewordenen Bürgerhäuser der Renaissance und des Barock hatte man Schaufenster gebrochen, die an solchen Tagen durch rot und weiß gestreifte Planen beschattet wurden.
    Und wie es meist Kleinigkeiten sind, an die sich die Erinnerung an Stimmungen knüpft, so ruft das Bild dieser Planen, die der Straße etwas Außerordentliches gaben, verbunden mit dem Farbengewirr der verschiedenartigsten Blumen, die auf dem kleinen Markte feilgeboten wurden, und der trockenen Wärme, die schon früh aus dem Pflaster strahlte, die Erinnerung an das Gefühl eines heiteren Müßigganges zurück. Die Wärme schien mir von je das eigentliche Element des Lebens, als Trägerin einer besonderen sinnlichen Fülle, die sich, wie die Gnade, ohne Anstrengung gibt. Daher pflegte ich mich schon früh im Jahre auf die Tage zu freuen, an denen die Hitze das Harz aus den Baumstämmen kocht und die bei uns so selten sind. Es ärgerte mich, wenn an frischen Tagen im Mai der Atem noch als feiner Hauch in der Luft zu sehen war. Wenn es schon kalt war, so sollte die Kälte auch ausschweifend sein, so wie es ganz alte Leute zu erzählen wußten, mit Bergen von Schnee, unter denen die Häuser begraben wurden, und mit Eis, das die Flüsse bis zum Grund erstarren ließ.
    Meine Eltern besaßen ein Treibhaus, das ich während der großen Ferien gern zur Mittagszeit aufsuchte, und manchmal, wenn die glühende Luft über dem Glasdache zitterte, dachte ich mit einem seltsamen Vergnügen, daß es wohl auch in Afrika nicht viel heißer sein könnte. Etwas heißer allerdings mußte es sein, denn gerade das fast Unerträgliche, das noch nie Erlebte war ja das Verlockende. Afrika war für mich der Inbegriff des Wilden und Ursprünglichen, der einzig mögliche Schauplatz für ein Leben in dem Format, in dem ich das meine zu führen gedachte; und es stand für mich fest, daß, sowie ich freie Verfügung besaß, ich mich dorthin zu wenden hatte. Inzwischen verschlang ich alles, was an Aufzeichnungen über dieses Land zu erreichen war, und die alte Dame in der Leihbibliothek staunte über die Geschwindigkeit, mit der ich breite Regale ihrer in schwarzes Wachsleinen gebundenen Bücher zu bewältigen wußte. Es war nicht der ganze Erdteil, der meine Aufmerksamkeit fesselte, sondern nur der breite Streifen, den der Äquator schneidet, das eigentlich tropische Land mit seinen schrecklichen Urwäldern und großen Strömen, seinen Tieren und Menschen, von jedem gewohnten Wege weit entfernt. Daß es noch Wildnisse gab, die nie ein Fuß beschritten hatte: dies zu wissen, bedeutete für mich ein großes Glück.
    Mit grimmiger Freude las ich, daß Schwarzwasserfieber und Schlafkrankheit den Ankommenden schon an der Küste erwarteten und hohe Opfer forderten. Es schien mir billig, daß der Tod seinen Gürtel zog um ein nur für Männer geschaffenes Land und schon an seinen Pforten jeden zurückschreckte, der nicht ganz entschlossen war. Abbildungen jedoch vom Bau zentralafrikanischer Bahnen oder eine gelegentliche Notiz in der Zeitung über ein gegen den Stich der Tsetsefliege erfundenes Serum pflegten meine Entrüstung zu erwecken; solche Siege des Fortschrittes über die Mächte der Natur verstimmten mich sehr.
    Mochten sie in Deutschland anfangen, was sie wollten, das letzte seltene Tier ausrotten, den letzten Streifen Ödland unterpflügen und auf jeden Gipfel eine Drahtseilbahn bauen – aber Afrika sollten sie in Ruhe lassen. Denn irgendein Land mußte doch noch auf der Welt bleiben, in dem man sich bewegen konnte, ohne bei jedem Schritt auf eine steinerne Kaserne und auf eine Verbotstafel zu stoßen, und in dem noch Herren möglich waren, die über sich selbst und über alle Attribute der Macht ungeteilt verfügen konnten. Daß aber die Einführung der Technik in

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