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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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andere für sich in Anspruch nehmen darf.
    Leipzig
    Seltsame Vorlieben und die Art, in der der Mensch von einem großen, scheinbar ganz geschlossenen Gebiet nichts beachtet als einen bestimmten Teil, sind sehr bezeichnend für das Wesen einer Persönlichkeit. So sehe ich einen Sinn darin, daß ich mich während meiner anatomischen Studien nie mit der Knochenlehre befreunden konnte, daß ich mich für die Geologie nur da erwärmte, wo sie mit der Paläontologie zusammenhing, daß von allen belebten Schichten wiederum die Juraformation für mich von je einen märchenhaften Glanz besaß, daß mir die Erle immer so unangenehm und der Ahorn so prächtig schien und daß mir von allen tausend Ländern, die die Welt trägt, gerade Zentralafrika das verlockendste war und heute noch ist. Von all diesem weiß ich, warum es so ist – wie aber ist die Abneigung zu erklären, die ich vor den Pflanzen und Tieren Australiens, ganz besonders vor den Beuteltieren, empfinde oder, um noch Seltsameres zu streifen, die Ahnung, daß Huysmans, von dem ich jahrelang nur die Buchstaben des Namens kannte, für mich von großer Bedeutung sein müsse, eine Ahnung, die sich später als durchaus berechtigt erwies? Durch solche Neigungen und Abneigungen spricht unser Innerstes, das uns selbst ewig verborgen bleiben wird, das sich auszudrücken sucht, indem es sich ins Gleichnis setzt, und das mit nachtwandlerischer Sicherheit den Grad der Verwandtschaft spürt, die uns mit allen Dingen der Welt verbindet und unsere innere Perspektive bestimmt.
    Es ist stets ein Ereignis für mich gewesen, gerade dem scheinbar ganz nüchternen Leben zu begegnen, das sich an einem Punkte seiner Oberfläche erwärmt, ohne selbst zu wissen, warum, zwecklos, aber keineswegs ohne Sinn, und gar oft in solchem Mißverhältnis zu seiner Umgebung, daß das Lächerliche nicht ausbleiben kann. Der Volksschullehrer auf dem Lande, der alte Scherben und römische Denare sammelt, der kleine Kaufmann, der plötzlich sein Geschäft im Stiche läßt und Griechisch lernt, um besser über den Syllogismus grübeln zu können, der Schlosser, der Walt Whitman gelesen hat und immer wieder liest und sonst kein anderes Buch – in solchen Erscheinungen deutet sich auf das klarste an, daß das Leben sich über sehr geheimnisvollen und so gar nicht zweckmäßigen Gründen bewegt. Uberall hängt das Unsichtbare seine geheimen Angeln nach uns aus, und noch das kleinste, entfernteste Ding ist von jenem mystischen Leben erfüllt, von dem wir selbst ein Teilchen sind. Das Erlebnis, durch das Jakob Böhme beim Anblick eines zinnernen Gefäßes plötzlich die ganze Liebe Gottes empfand, ist keineswegs außergewöhnlicher Natur, und vielleicht ist es wichtiger, als wir ahnen, daß dieses Gefäß gerade ein zinnernes war.
    Leipzig
    Seien wir auf der Hut vor der größten Gefahr, die es gibt – davor, daß uns das Leben etwas Gewöhnliches wird. Welcher Stoff zu bewältigen ist und welche Mittel zur Verfügung stehen – jene Wärme des Blutes, die unmittelbar Fühlung nimmt, darf nicht verloren gehen. Der Feind, der sie besitzt, ist uns wertvoller als der Freund, der sie nicht kennt. Glaube, Frömmigkeit, Wagemut, Begeisterungsfähigkeit, liebevolle Bindung an irgend etwas, sei es, was es auch sei, kurz alles, was durch diese Zeit haarscharf als Dummheit nachgewiesen ist – überall, wo wir das spüren, geht der Atem leichter, und sei es im beschränktesten Kreis. Mit all diesem ist der einfache Vorgang verbunden, den ich das Erstaunen nenne, jene Innigkeit im Aufnehmen der Welt und die große Lust, nach ihr zu greifen wie ein Kind, das eine gläserne Kugel sieht.
    Wenn wir uns der Zeit erinnern, in der wir Kinder waren, des Schweifens durch Wald und Feld, wo das Geheimnis hinter jedem Baum und jeder Hecke verborgen war, der wilden, tobenden Spiele in den dämmerigen Winkeln der kleinen Stadt, der Glut der Freundschaft und der Ehrfurcht vor unseren Idealen, so sehen wir, um wieviel blasser die Welt geworden ist. Können wir noch eine Gestalt so verehren wie Sherlock Holmes, den hageren, nervösen Helden mit der kurzen Pfeife zwischen den Zähnen, oder ist uns irgend etwas noch so wichtig wie der grüne Papagei, der dem armen Robinson auf der Schulter saß? Robert, der Schiffsjunge, und Old Shatterhand, der Rote Freibeuter und Kapitän Morgan, der den Totenkopf im schwarzen Wimpel trug, der Graf von Monte Christo mit seinen Schätzen, Schinderhannes, dieser Freund der Hütten und Feind der Paläste,

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