Ein allzu braves Maedchen
ohrenbetäubend, und das Poltern der Gartenmöbel trifft sie jedes Mal wie ein Schlag.
Plötzlich bewegt sich die Gestalt, wendet sich ab und verschwindet im Dunkel des Wohnzimmers. Als würde sie von einem unsichtbaren Seil gezogen.
Lange sitzt sie aufrecht da und starrt ins Dunkel.
Dann steht sie leise auf, schleicht zur Tür und späht ins Wohnzimmer. Der Vater sitzt reglos in seinem Sessel vor dem Fernsehapparat. Der flackernde Schein des Bildschirms erhellt sein weißes Gesicht, und seine kalten Augen blicken starr durch die Brillengläser. Sie denkt daran, dass sie ihn wieder ins Bett bringen muss, denn am nächsten Tag ist Schule, und sie muss früh raus. Sie ist müde.
»Papa?«, fragt sie leise. Man muss behutsam mit ihm sein. Laute Stimmen machen ihn aggressiv. Aber er reagiert nicht. Wenn er nicht hören will, stellt er sich taub.
Die Fensterläden sind nicht geschlossen. Sie sieht hinaus. Und erschrickt. Es schneit. Der Gartentisch ist von einer dicken Schneeschicht bedeckt. »Papa, wir schneien ein!«, ruft sie ihn an, aber er reagiert nicht. Sitzt starr. Wie ein Geist. Der Sturm tobt, und irgendwo im Haus kracht es fürchterlich. Sie hört den Nachrichtensprecher, der die Menschen davor warnt, ihre Häuser zu verlassen. Dann erlischt das Bild. Es ist stockdunkel. Sie steht da und wagt nicht, sich zu bewegen. Der Schnee treibt in dicken Flocken an die Fensterscheibe, von irgendwoher leuchtet ein fahles Licht. »Papa?«
Stille. Jetzt erkennt sie ihn wieder. Er trägt ein weißes Nachthemd, das über und über mit Blut besudelt ist, und schwebt langsam auf sie zu. Sie versucht ihn anzulächeln, damit er nicht böse auf sie wird. Da schüttelt er sanft den Kopf, als würde er etwas zutiefst bedauern. Seine hellen Augen sehen durch sie hindurch. Dann lächelt er und flüstert: »Hier kommst du nicht mehr raus.« Etwas zerbricht in ihr, und sie schreit aus Leibeskräften nach ihrer Mutter.
Dann erwacht sie. Nachthemd und Bettdecke kleben schweißnass auf ihrer Haut. Sie rührt sich nicht, obwohl sie den Impuls verspürt, sich aufzurichten und die Nachttischlampe einzuschalten. Etwas hält sie davon ab, eine Ahnung, das Gefühl, dass jemand neben ihr sitzt und sie anschaut. Draußen stürmt es immer noch. Als sie plötzlich seine klammen Finger auf ihrer Stirn fühlt, springt sie schreiend auf, läuft durchs Zimmer zur Tür und drückt den Lichtschalter.
Er kniet neben ihrem Bett. Das Nachthemd hat er ausgezogen. Bis auf seine Krawatte und die Strümpfe ist er nackt.
Nachdem sie ihn wieder für die Nacht zurechtgemacht hat, weigert er sich, zu Bett zu gehen. Er spricht von wichtigen Verabredungen und davon, dass es jetzt an der Zeit sei, sich auf den Weg zu machen. Sie muss vorsichtig sein. Wenn er in der falschen Stimmung ist, wird er schnell aggressiv. Sie kauert neben dem Wohnzimmersessel und beobachtet ihn, wie er von Fenster zu Fenster schleicht. Langsam wird er wütend, denn er hat vergessen, wie sie zu öffnen sind. Er läuft zur Haustür und rüttelt an der Klinke, aber die Tür ist abgeschlossen. Er klopft. Sie sieht auf die Wanduhr. Beinahe Mitternacht. Dann erhebt sie sich mühsam und folgt ihm in den Flur. Als sie sich ihm vorsichtig von hinten nähert, wundert sie sich über seine merkwürdig gebückte Körperhaltung. Er hält etwas in den Händen und scheint daran zu knabbern. Sie kommt näher und blickt über seine Schulter. Langsam dreht er sich zu ihr um und sieht sie an.
Sein Mund ist blutverschmiert. Dann senkt er den Blick und sieht auf ihre Brust. Sie blickt an sich hinab. Ihr Brustkorb ist aufgerissen, und sie blutet aus einem faustgroßen Loch. Sie greift mit den Händen in die Wunde und versucht, die Rippen zusammenzupressen, um nicht zu verbluten. Da hört sie ein leises Klopfen. Rhythmisch. Wie kleine Schritte. Sie blickt zu ihrem Vater hinüber, der immer noch vor ihr steht und sie ansieht. Er lächelt triumphierend und schweigt. Und dann sieht sie, dass das Fleisch in seinen Händen pulsiert. Wie ein Stromschlag durchfährt es sie, als sie begreift, was er isst.
Es ist ihr Herz.
MONTAG
2
0
Sie setzte sich auf den Stuhl im Therapieraum, sah Dr. Minkowa in die Augen und sagte unvermittelt: »Es jagt mich. Es kommt nachts.«
»Können Sie es beschreiben?«
»Es sind Schritte. Ich kann nicht sehen, wer es ist, weil er immer vor meiner Tür stehen bleibt. Er will rein, aber irgendetwas hindert ihn daran. Solange ich nicht weiß, was ihn hindert, habe ich Angst, dass er
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