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Ein allzu schönes Mädchen

Titel: Ein allzu schönes Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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zu tun, nicht wahr?»
    «Ja. Aber ich möchte nicht darüber sprechen.»
    «Gibt es noch viele Dinge, über die du nicht sprechen möchtest?», fragte Tereza.
    Marthaler lachte. «Nein. Ich glaube nicht.»
    Aber wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass er nicht einmal das mit Sicherheit sagen konnte. Er hatte sich diese Frage
     schon lange nicht mehr stellen müssen. Es hatte niemanden gegeben, der neugierig auf ihn gewesen wäre.
    Als sie die Wohnung verließen, begegnete ihnen die Hausmeisterin. Sie begrüßten einander.
    «Das ist Tereza», sagte Marthaler. «Sie wird eine Weile bei mir wohnen. Ich habe ihr bereits gesagt, dass sie die Haustür
     abends abschließen muss.»
    Sie schlenderten den Großen Hasenpfad hinunter. Am liebsten hätte Marthaler allen Leuten, die ihnen begegneten, einen Guten
     Morgen gewünscht. Manchmal berührten sich beim Gehen ihre Oberarme. Als sich Tereza unverhofft bei ihm unterhakte, bekam Marthaler
     einen kleinen Schrecken. Er merkte, wie sich sein Oberkörper für einen Moment versteifte.
    «Ist es dir unangenehm?», fragte Tereza.
    «Nein, überhaupt nicht», antwortete er. «Es ist nur, dass mir lange niemand mehr so nah war.»
    Tereza sah ihn von der Seite an. Sie schien etwas sagen zu wollen, rückte aber nicht mit der Sprache heraus.
    «Was ist?», fragte er.
    «Die Deutschen sind nicht sehr   …» Sie zögerte, ihren Satz zu Ende zu bringen.
    «Komm, sag schon», ermunterte er sie. «Wie sind die Deutschen?»
    «Ich habe den Eindruck, die Deutschen sind nicht sehr entspannt.»
    |322| «Mag sein», sagte Marthaler. «Aber vielleicht gibt es dafür gute Gründe. Und dann weiß ich auch nicht, ob es wirklich ein
     erstrebenswertes Ziel ist, entspannt zu sein. Es gibt so viele entspannte Idioten.»
    Tereza lachte.
    «Ja», sagte sie, «da hast du Recht. Aber ich meine etwas anderes. Ich habe oft das Gefühl, dass dieses Land ein Pulverfass
     ist. Es genügt, wenn man jemanden versehentlich anstößt, schon wird man beschimpft. Es ist ein schönes Land, aber der Frieden
     ist so dünn hier.»
    Marthaler glaubte zu verstehen, was sie meinte. Trotzdem war er froh, dass sie jetzt am Städel angekommen waren. Er dachte
     oft genug über das Land und seine Menschen nach. Heute hatte er keine Lust dazu.
    An der Kasse lösten sie ihre Eintrittskarten.
    «Komm», sagte er. «Jetzt zeigst du mir ganz entspannt deine Bilder.»
    Tereza führte Marthaler mit großer Begeisterung durch die Räume. Man hätte meinen können, sie sehe das alles zum ersten Mal,
     dabei hatte sie in den letzten Wochen viele Stunden in diesem Museum verbracht. Sie zeigte ihm die rätselhafte Venus von Lucas
     Cranach, den Astronomen von Vermeer, aber auch das wunderschöne weibliche Brustbild des Bartolomeo da Venezia und das bunte
     Paradiesgärtlein eines unbekannten oberrheinischen Meisters.
    Marthaler merkte, wie naiv er auf all die Bilder reagierte. Ob ihm etwas gefiel oder nicht, hing fast immer davon ab, was
     auf den Gemälden dargestellt war. So schön sie auch gemalt sein mochten, ihn schauderte vor Kreuzigungsszenen. Er hatte nie
     verstanden, wie eine Religion das Abbild eines gemarterten Menschen zu ihrem Symbol machen konnte.
    Terezas Blick war ein anderer. Sie wies ihn auf viele Einzelheiten hin, erläuterte ihm die Malweise, erklärte, welche Bedeutung |323| eine bestimmte Blume oder ein Totenkopf haben konnte. Und wie sich im Laufe der Jahrhunderte die Darstellung der Menschen
     verändert hatte. Langsam begann Marthaler zu begreifen, dass sie viel mehr auf diesen Bildern sah als er, weil sie viel mehr
     wusste.
    Und er war erstaunt, mit welcher Sicherheit sie ihre Urteile fällte. Während er oft verständnislos vor einem alten Gemälde
     stehen blieb und meinte, er müsse lernen, es zu bewundern, zog sie ihn einfach weiter.
    «Komm», sagte sie, «das ist nichts. Nur weil es alt ist und in einem Museum hängt, muss es ja nicht gut sein.»
    Auch die Berühmtheit eines Malers schützte seine Bilder nicht vor Terezas Kritik. Andererseits zwang sie Marthaler immer wieder,
     genauer hinzusehen. Zu einem Gemälde zurückzukehren, an dem er gerade achtlos vorbeigelaufen war.
    «Schau doch mal hier», sagte sie und deutete auf Courbets Welle. «Ist das nicht wunderschön? Und so einfach. Es ist die Welle
     aller Wellen. Als sei niemals zuvor eine Welle gemalt worden. Sie ist schön und sieht doch auch gefährlich aus. Man möchte
     hineinspringen, und gleichzeitig hat man Angst, darin

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