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Ein allzu schönes Mädchen

Titel: Ein allzu schönes Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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um bei einer der Hütten
     zu grillen.»
    «Oder man arbeitet hier. Es gibt Förster, Jäger, Waldarbeiter.»
    |86| «Und Polizisten.»
    «Wieso Polizisten?»
    «Wusstest du nicht, dass hier regelmäßig ein paar Kollegen Streife reiten?»
    «Nein, das wusste ich nicht.»
    «Aber es gibt auch Botaniker und Ornithologen, die sich hier aufhalten, Schulkinder, die eine Wanderung machen. Es gibt praktisch
     niemanden, der nicht gute, ganz und gar legale Gründe hätte, sich im Wald aufzuhalten.»
    Inzwischen waren sie wieder an der asphaltierten Brücke in der Nähe des Tatortes angekommen. Schilling hatte auch dieses Gebiet
     absperren lassen. Zwei Schutzpolizisten standen in der Nähe und nickten ihnen zu.
    «Hier», sagte Schilling und zeigte auf den Boden.
    «Was meinst du?», fragte Marthaler. Er sah nur, dass einige Stellen auf dem Asphalt mit Kreide markiert worden waren.
    Sie gingen beide in die Hocke.
    «Es ist nicht sehr deutlich, aber einer unserer Leute hat es dennoch entdeckt», sagte Schilling.
    «Fußabdrücke?»
    «Ja, zumindest der vordere Teil einer Sohle, die wohl zu einem Sportschuh gehört. Und an dieser Sohle war Blut, mit hoher
     Wahrscheinlichkeit das Blut des Opfers. Je weiter wir uns vom Tatort entfernen, desto schwächer werden die Spuren, und, siehst
     du, hier hören sie plötzlich auf.»
    «Das heißt?», fragte Marthaler.
    «Das heißt, dass derjenige, der die Spuren hinterlassen hat, nicht mehr weitergegangen ist, dass er sich von dieser Stelle
     aus auf eine andere Weise fortbewegt hat.»
    «Oder er hat die Schuhe ausgezogen.»
    «Ja.»
    «Also gut», sagte Marthaler, «sagen wir, diese Spuren stammen vom Täter. Sagen wir, er hat den Mann umgebracht, ist |87| dann zu seinem Auto oder Motorrad oder was auch immer gegangen und weggefahren. Das kann allerdings erst zu einem Zeitpunkt
     geschehen sein, als der Regen aufgehört hatte und der Asphalt schon wieder trocken war. Wie passt das mit dem Todeszeitpunkt
     zusammen?»
    «Das ist die Frage», sagte Schilling. «Deswegen bin ich mir auch nicht sicher, ob die Spuren wirklich vom Täter stammen. Und,
     schau mal genau hin, fällt dir nicht etwas auf?»
    «Doch, der Schuh, der diese Abdrücke hinterlassen hat, ist nicht sehr groß.»
    «Genau. Ich würde schätzen Größe 39, maximal Größe 41.   Das heißt, sie stammen entweder von einem kleinen Mann oder von einer Frau.»
    «Bleiben wir einen Moment bei der Annahme, dass die Spuren vom Täter stammen», sagte Marthaler. «Das würde bedeuten, dass
     er sich nach dem Mord noch eine geraume Zeit am Tatort aufgehalten hat.»
    «Oder nach dem Regen noch einmal dorthin zurückgekehrt ist», erwiderte Schilling.
    «Um was zu tun?»
    «Tja, das müsstest wohl du herausfinden.»
    «Um sich zu vergewissern, dass sein Opfer auch wirklich tot ist? Oder dass es gut genug verscharrt ist?»
    Marthaler und Schilling gingen zurück in den Wald. Marthaler vermied es, noch einmal zu der Stelle hinzuschauen, wo am Morgen
     die Leiche gelegen hatte. Plötzlich hatte er es eilig, von hier wegzukommen. Er öffnete das Schloss seines Fahrrads und wollte
     gerade losfahren, als Schilling ihm noch etwas zurief.
    «Übrigens», sagte er, «mir ist noch ein weiterer Grund eingefallen, warum man sich im Wald aufhalten kann.»
    Marthaler schaute ihn über die Schulter hinweg an. «Nämlich?»
    |88| «Um sich zu lieben», sagte Schilling.
    Ja, dachte Marthaler, das ist auch eine Möglichkeit. Nur, dass das hier ganz und gar nicht nach Liebe aussah.
     
    Die große schwarze Wolke, die am frühen Nachmittag für kurze Zeit den Himmel über der Stadt verdunkelt hatte, war wieder abgezogen,
     ohne dass es erneut geregnet hätte. Marthaler fuhr den Hainer Weg hinunter, machte aber schon am Südfriedhof wieder Halt und
     setzte sich dort, in der Nähe des Eingangs, auf eine Bank unter einen Baum. Er lächelte. Auf dem Grabstein direkt gegenüber
     seiner Bank stand in Frakturschrift der Name Johann Strauß, gestorben 1953.
    Marthaler hatte sich am Vortag ein Päckchen Mentholzigaretten gekauft, das er sich für die Urlaubstage zugestanden hatte.
     Viele Jahre lang hatte er täglich mehr als dreißig Zigaretten geraucht, dann von einem Tag auf den anderen aufgehört und sich
     schließlich, als er sicher war, nicht wieder in seine alten Suchtgewohnheiten zurückzufallen, zum Gelegenheitsraucher entwickelt.
     Jetzt öffnete er das Päckchen, steckte sich eine an, legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und

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