Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Alptraum für Dollar

Ein Alptraum für Dollar

Titel: Ein Alptraum für Dollar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
Vom Netzwerk:
die linke Eingangstür geschoben. Damals war es die Idee gewesen!
    Damals! Ach, die schönen grauen Augen seiner jungen Frau! Sie muß früher sehr hübsch gewesen sein... allerdings nur bis zu den Hüften. Soweit sich das heute beurteilen läßt, hat die Natur kein sonderliches Interesse mehr daran gehabt, auch das übrige so recht in Form zu bringen. Also: dicke Knöchel, kurze Beine, die im Laufe der Jahre auch noch immer »kräftiger« wurden. Monsieur Dumesnil verheiratete genau der Reihenfolge nach zuerst seine älteste Tochter, dann die mittlere, und endlich die jüngste, wie sich’s gehört. Diese zuletzt geschlossene Ehe beschleunigte allerdings den fatalen Lauf der Dinge. Verständlich, wenn man bedenkt, was da in die Familie hineinplatzte!
    Der dritte Schwiegersohn ist nicht nur unternehmungslustig und sportlich, er ist auch so überzeugend, so mitreißend, so dynamisch und leider auch so geizig, daß es ihm gelang, seine Frau, seine Schwiegermutter, seine Schwägerinnen und deren Ehemänner — und zwangsläufig auch seinen Schwiegervater, Monsieur Dumesnil, dazu zu überreden, einen ganzen Monat lang in Kalabrien auf einem Campingplatz Urlaub zu machen.
    Dort hat Monsieur Dumesnil die sowieso schon arg strapazierten Nerven allmählich ganz verloren und — aus purem Selbsterhaltungstrieb — nach einer rettenden Lösung gesucht. Für ihn hieß es: entweder die Freiheit, oder wahnsinnig werden! Unter der brennenden Sonne Süditaliens mußte er bis zum späten Nachmittag auf sein Mittagessen warten, und das Abendmahl fand — wenn überhaupt — erst mitten in der Nacht statt. Und wenn’s endlich soweit war, gab es nur aufgewärmtes, altes Ragout oder ähnliches. Denn sowohl die Schwiegersöhne als auch die Frauen hielten die Ernährung während des Urlaubs für die lächerlichste Nebensache der Welt! Dazu kam noch, daß weder er noch seine Frau die Hitze und die schwülen Nächte ertrugen — die schwerverdienten Erholungswochen des Jahres entwickelten sich also zu einem regelrechten Nervenkrieg. Es gab ständig heftige Diskussionen, die am Ende sogar zu einem handfesten Ehekrach führten. Und auf der Rückreise erklärte Madame Dumesnil plötzlich, sie wolle sich in Tours bei ihrer jüngsten Tochter eine Zeitlang von diesen unvergeßlichen Ferien erholen!
    Schön. Einverstanden. Monsieur Dumesnil hat nichts dagegen. Auch er braucht Ruhe. Also fährt er weiter nach Paris — allein!
    Zum ersten Mal seit seiner Jugend — es ist eine Ewigkeit her! — verspürt er ein seltsames Gefühl. Ihm wird fast schwindlig dabei, so neu ist es für ihn. Es ist ein Gefühl, das nur sehr wenige Leute kennen: das wunderliche, berauschende Entdecken und Erleben einer plötzlichen, neuerworbenen Freiheit — so verführerisch, daß man ihr restlos verfällt und sich nicht mehr vorstellen kann, von nun an ohne sie zu leben.
    In diesem Augenblick, so zwischen Tours und Paris, faßt Monsieur Dumesnil den größten Entschluß seines Lebens. Endlich hat er die Lösung gefunden: ein Mittel — so verrückt, so außergewöhnlich, daß die ganze Presse in Paris später darüber berichten wird.
    Aber so weit sind wir noch nicht!
    Am 12. Oktober, gegen 9 Uhr morgens, schaut Monsieur Dumesnil aus dem Fenster auf die nasse Straße. Es regnet in Strömen. Ein Taxi hält vor der Tür. Auf dem Kamin in seinem Zimmer liegt das Telegramm von seiner Frau: »Ankomme Gare Montparnasse — Sonntag 8 Uhr 20. Bitte abholen. Juliette«
    Monsieur Dumesnil ist nicht zum Bahnhof gefahren. Monsieur Dumesnil hat sich nicht rasiert. Monsieur Dumesnil hat sich nicht einmal angezogen.
    Heute ist der große Tag. In wenigen Sekunden wird die Stunde schlagen. Es klingelt. Raymond rührt sich nicht.
    Er bleibt regungslos stehen, die Pfeife in der Hand. Sogar der Rauch scheint den Atem anzuhalten.
    Es klingelt zum zweiten Mal. »Hoffentlich hat sie ihre Schlüssel nicht vergessen!« denkt er — und wartet. Es klingelt wieder, drei Mal hintereinander, immer lauter, immer penetranter. Aber das Geräusch ist nicht mehr so schrill wie früher.
    »Hoffentlich gibt’s nicht die kleinste Lücke! Es wäre zu dumm, irgend etwas vergessen zu haben! Ein einziges winziges Loch, und ich bin verloren!« Ein wenig Mitleid verspürt er schon: »Arme Juliette, die wird vielleicht ein Gesicht machen!«
    Madame Dumesnil muß endlich ihre Schlüssel gefunden haben — denn jetzt ist alles still! Sie ist in der Wohnung. Und er stellt sich seine Frau vor. Sie mustert bestimmt

Weitere Kostenlose Bücher