Ein Alptraum für Dollar
Schultern, seinem Vollbart und der ledrigen, verbrannten Haut, durchgegerbt von den fernen salzigen Winden. Auf seinen unzähligen großen Fahrten über alle Meere der Welt hat er schon allerhand miterlebt und durchgemacht! Ihn kann nichts mehr erschüttern. Das heißt — ihn »konnte« nichts mehr erschüttern... bis vor einigen Tagen. Jetzt wirkt er unsicher, nervös, ja er macht sogar auf den Hafenmeister einen sehr verwirrten Eindruck:
»Kommandant, ich weiß selber, wie irrsinnig das ganze Ihnen vorkommen muß. Aber dennoch... ich bitte Sie, glauben Sie mir!«
»Gern Captain Moorhouse! Ich würde vorschlagen, Sie erzählen mir zuerst einmal, worum es sich eigentlich handelt.«
»Um ein Geisterschiff!«
»Aha, ein Geisterschiff also. Ich verstehe.«
»Sehen Sie, Sie glauben mir von vornherein nicht!«
Der hohe britische Beamte verzieht tatsächlich keine Miene. Für diese immer wieder auftauchenden Geisterschiffe hat er nichts übrig. Er wurde auch nicht nach Gibraltar abkommandiert, um seine Zeit mit derartig lächerlichen Matrosengeschichten zu vergeuden! In dieser zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zählt Gibraltar nämlich zu den wichtigsten Bastionen Seiner Majestät auf der ganzen Welt. Dieser Besitz ist für England von höchster strategischer Bedeutung. Durch seine geographische Lage zwischen dem Atlanik und dem Mittelmeer, zwischen Europa und Afrika, ist der seit Jahrtausenden berüchtigte Felsen von Gibraltar für alle seefahrenden Völker und Kolonialmächte zum Symbol der Herrschaft über die Weltmeere geworden!
Der Hafenmeister ist also nicht irgendwer, der nur eben den regen Handelsverkehr zu überwachen hätte. Er ist einer der besten und auch abgebrühtesten Offiziere der Admiralität, und seine Aufgabe — hier in Gibraltar — besteht vor allem darin, die Festung zu halten! Damit ist er voll ausgelastet! Ein Geisterschiff bringt ihn nicht so leicht aus der Ruhe.
Und so wartet er ziemlich gelangweilt darauf, daß der Kapitän weiter von seiner »Entdeckung« berichtet. »Kommandant, wir beide kennen uns schon sehr lange...«
»Ja, Captain Moorhouse! Nur aus diesem Grund bin ich auch bereit, mir Ihre Geschichte anzuhören! Ich bin sehr beschäftigt! Also?«
»Also... es war vor neun Tagen, am 4. Dezember, so gegen 10 Uhr vormittags. Da kommt plötzlich der Wachoffizier zu mir. Er war sehr aufgeregt und erzählte, der Matrose im Mastkorb hätte gerade ein Schiff einige Meilen voraus gesichtet. Ich war dabei, unsere Position ins Logbuch einzutragen... 37 Grad Nördlicher Breite, 18 Grad Westlicher Länge...«
»Genau zwischen den Azoren und Gibraltar, Captain! Da kreuzen einige Schiffe herum, sofern ich es beurteilen kann!«
»Das weiß ich doch selber! Ich wollte auch nicht einmal an Deck gehen! Aber die Wache war so sehr davon überzeugt, daß mit diesem Schiff irgend etwas nicht stimmt, da habe ich es mir doch durchs Fernglas genauer angesehen. Und tatsächlich, Kommandant, die Wache hatte recht. Mit dem Schiff stimmte wirklich was nicht. Es war ein amerikanischer Schoner, und er segelte auf seltsame Weise! Wie soll ich sagen... er schwankte hin und her, schaukelte im Wind und fuhr im Kreis herum. Einer der Matrosen machte noch einen Witz: >...der Steuermann muß völlig besoffen sein!< Ja, der Schoner torkelte sozusagen. Er war in Schwierigkeiten, das war mir sofort klar, allerdings konnte ich aus der Ferne die Gründe nicht feststellen. Also befahl ich, augenblicklich den Kurs zu ändern und auf den Schoner loszusegeln.
Als wir in seine Nähe kamen, starrten wir alle fassungslos Löcher in die Luft! Mit so etwas hatten wir nicht gerechnet. Es stand niemand am Steuerrad, kein Mensch war an Deck zu sehen, kein Schiffsjunge auf den Masten. Wir haben laut gerufen, keine Antwort, nichts! Dabei war das Schiff nirgendwo beschädigt! Der Rumpf war in bester Ordnung, die Masten voll getakelt! Es war kein Wrack, Kommandant! Tja, so habe ich die >Mary Celeste< gefunden. Ihr Name glänzte am Heck mit goldenen Buchstaben... >Mary Celeste<... ein Geisterschiff.«
Der Hafenmeister gibt sich immer noch sehr gelassen, jetzt allerdings hört er eine Spur aufmerksamer zu. Denn er kennt Kapitän Moorhouse tatsächlich seit Jahren und weiß, daß er kein Seemanngsgarn spinnt. Wenn der mit einer solchen Geschichte zu ihm kommt, dann muß irgendwas dran sein. Meuterei? Piraterie vielleicht?
Weder noch.
Captain Moorhouse wischt sich den Schweiß von der Stirn und erzählt erregt weiter:
»Ich habe
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