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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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    Was für ein komischer Name», bemerkte sie.
    Vance streckte hastig die Hand aus.«Lass mal – ich glaub, das ist für mich.»
    « Von wem ist das?»
    « Ach, bloß jemand, mit dem ich eine Verabredung hatte. Hab’s wohl vergessen.»Sie wirkte erleichtert, und er fügte hinzu:« Hör zu – es ist höllisch kalt. Hab wohl auch vergessen, nachzulegen, bevor wir losgingen.»Er lachte über seinen Scherz und zog sie in die Küche.«Da, setz dich, ich bringe gleich alles in Ordnung.»
    Er schob sie in Mrs Tracys Schaukelstuhl, zündete die Lampe an, räumte den Ofen aus, schüttete Kohle und Anmachholz hinein und suchte nach Milch; währenddessen lehnte sie sich zurück und schaute ihm mit dunklen, brennenden Augen zu. Sie wirkte klein und zerbrechlich in dem schwachen Licht, und die zurückkehrende Wärme ließ auf ihren Jochbeinen scharlachrote Flecken entstehen und die Wangengruben darunter doppelt fahl wirken. Warum wurde sie immer müde, wenn sie versuchten, gemeinsam etwas Lustiges zu unternehmen? Warum schien sie vom Schicksal dazu bestimmt, nie mit ihm Schritt halten zu können? Er goss die Milch ein und brachte sie ihr.«Da, trink das schnell. Du hast einfach Hunger», versuchte er sie aufzumuntern, aber sie schüttelte den Kopf, und das Lächeln auf ihrem mageren kleinen Gesicht verwandelte sich in eine Grimasse der Erschöpfung.«Ich glaube, ich bin nur müde.»Immer dasselbe traurige Lied!«Sie ist krank», dachte Vance plötzlich entsetzt. Laut sagte er:«Warte, ich mach dir die Milch warm, dann magst du sie vielleicht.»Er dachte mit Schaudern an das kalte Bett und das ungeheizte Zimmer oben und wie lange es dauern würde, bis das Haus warm war. Wo um alles in der Welt fand er einen Ziegelstein, den er aufheizen und ihr an die Füße legen konnte, wenn er sie ausgezogen hatte? Er erwärmte die Milch und hielt sie ihr wieder an die Lippen, aber sie schob sie mit fiebrigen Händen beiseite, und als sie den Blick hob, waren ihre Augen dunkel und voll animalischem Schrecken.«Vanny, ich bin so müde. Trag mich hinauf, Liebling.»Sie schlang ihm die Arme um den Hals, und ihre Wange lag brennend an der seinen … Auf halbem Weg nach oben klammerte sie sich noch fester an ihn, und er spürte, wie sie ihm ins Ohr flüsterte:«Das Telegramm war doch nicht von einer Frau, Vanny?»
    « Von einer Frau? Um Himmels willen, nein! Was für ein Gedanke!», log er, stolperte die Stufen hinauf, drückte sie fest an sich und zuckte zusammen, als er ihre Tränen spürte …
    Oben auf dem Berg hatte er die Vision eines grandiosen Gedichts gehabt – ja, er wusste, dass es grandios war. Zeile um Zeile hatte sich erhoben wie große Adler im Schnee, die sich der Sonne entgegenwerfen und in unerreichbarer Herrlichkeit schweben. Er hatte sich nur zurücklegen und warten müssen, bis einer nach dem anderen herniederglitt und in seiner Brust die Schwingen anlegte. Und jetzt stolperte er mit diesem armen Kind die Treppe hinauf, zog es aus und versuchte, etwas Warmes zu finden, in das er ihre Füße wickeln konnte, fragte sich, warum ihr Blick so starr war und ihre Wangen so rot, wie man den Puls fühlt oder feststellt, ob jemand Fieber hat … Und die ganze Zeit beobachtete er mit einem anderen Teil seines Ichs, wie die Kristallsplitter seines Gedichts einer nach dem andern dahinschmolzen wie die Frühlingseiszapfen am Dach.

26
    Mrs Tracy wurde erst am nächsten Abend zurückerwartet, und vierundzwanzig Stunden lang kämpfte Vance allein gegen das dunkle Geheimnis der Krankheit. Während er die ganze Nacht neben Laura Lou Wache hielt, während er ihr glühendes Gesicht und die tiefliegenden Augen beobachtete, die Unruhe ihres Körpers zu besänftigen und den unaufhörlichen Husten zu stillen versuchte, überlegte er, was man für ihn getan hatte, als er krank gewesen war. Auch er war Tag und Nacht, Woche um Woche vom Fieber verzehrt worden, und Mutter und Schwestern waren immer zur Stelle gewesen, mit kühlenden Getränken und zärtlichen Berührungen, und hatten sich allerlei einfallen lassen, um sein Elend zu lindern – und er saß hier neben seiner Frau mit zwei linken Händen, knarzenden Schuhen und einem vernebelten Hirn und zerbrach sich vergebens den Kopf, womit er ihr helfen konnte.
    Mit einem Mal wurden ihre Augen, die immer so ängstlich an ihm gehangen und ihn um etwas gebeten hatten, was er nicht erriet, zu den Augen

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