Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
Vom Netzwerk:
stand ein Strauß Frühlingsblumen. Laura Lous Bett war ordentlich gemacht, und sie lag auf dem alten Liegestuhl, den er von der Veranda hinaufgetragen hatte. Mrs Tracy bereitete unten das Abendessen zu, und das Haus, das ihm oft so trübselig und abstoßend vorkam, wirkte friedlich und heimelig. Laura Lous Gesicht hellte sich auf, als er eintrat.« Hier – die habe ich dir mitgebracht. Sie sind gut und saftig», sagte er und zog ein paar Orangen aus der Manteltasche. Er beugte sich über sie, um sie zu küssen, und sie drückte ihre Wange an die seine.«Oh, das sind ja Prachtexemplare, Vanny, aber du hättest nicht so viel Geld ausgeben sollen!»
    Er setzte sich neben sie, lachte und sagte:«Ich habe noch viel mehr Geld ausgegeben; ich habe zurückgezahlt, was wir Hayes schulden.»
    Sie errötete in einem zarten Rosaton.«O Vanny! Alles? Das ist ja herrlich!»Ihre Hände flatterten in den seinen.«Mutter wird verrückt sein vor Freude. Aber es ist so viel Geld; wie um alles in der Welt hast du das fertiggebracht?»
    « Ach, ich … ich habe das eben so arrangiert. Es war ganz einfach. Ich habe einen Vorschuss bekommen.»
    Sie gab sich offenbar zufrieden mit dieser vagen Antwort, lehnte den Kopf an seine Schulter und strich mit der freien Hand über die Orangen.«Ach, das ist einfach wunderbar. In der Redaktion halten sie offenbar viel von dir», sagte sie sanft.
    Vance drückte sie an sich. Nach einer Weile sagte er:«Irgendwie hat mir der Bursche immer leidgetan.»
    Sie blickte durch ihre dichten Wimpern zu ihm auf, als wunderte sie sich ein wenig.«Aber jetzt muss er dir doch nicht mehr leidtun?»
    Vance war, als wäre sie von ihm weggerückt, in Wirklichkeit aber drückte sich ihr federleichter Körper noch enger an den seinen.«Na, ich weiß nicht», sagte er,«ich glaube, wir haben uns ihm gegenüber nicht gerade anständig verhalten, abgesehen vom Geld. Ich wollte, wir hätten ihm Bescheid gegeben oder so …»
    Sie schmiegte sich zufrieden an ihn.«Ach ja, das würd ich mir auch wünschen, aber wie wir’s gemacht haben, war es bestimmt sicherer.»Zumindest in ihren Augen war die alte Schuld restlos getilgt. Während er sie umfing, fragte er sich, ob überhaupt jemand auf Erden das Tiefgehende, Unsichtbare so empfand wie er.
    Um weitere Spekulationen zu unterdrücken, beugte er sich hinunter und küsste sie auf die geschlossenen Lider. Und da bildete sich diese seltsame, einsame Frau in dem großen Haus ein, er sei unglücklich verheiratet … !
    Am nächsten Morgen stellte ein Expresskurier einen großen Korb mit dem«Storecraft»-Etikett vor die Tür, gefüllt mit duftenden Grapefruits, glänzenden Mandarinen und Schachteln voller kalifornischer Leckereien.

28
    Vance blieb jählings stehen. Es war drei Jahre her, seit er The Willows gesehen hatte.
    Das Licht der Junisonne lag auf dem unkrautbewachsenen Rasen, zwischen dichten lila Fransenvorhängen ließen sich hie und da Türmchen und Balkone blicken. Ein süßer Hauch, nur wahrnehmbar, weil er millionenfach den Blütenkelchen entströmte, umhüllte das alte Haus so zart und dennoch überwältigend wie das Blau der Glyzinien. Während Vance so dastand, wehten ihn noch andere Düfte an: der nach der purpurnen Last des Flieders oder den warmen Trauben der weißen Wisteria 68 , und der Duft des Sommerjasmins, schwül wie das Summen der Bienen an einem Gewittertag. Im Wechsel der leichten Brise kamen sie mal aus dieser, mal aus jener Ecke des verwahrlosten Strauchgartens und lauerten Vance mit ihrer Süße auf. Drinnen aber warteten dieser zauberische Raum und die unwirkliche Macht der Vergangenheit.
    Seit jenem Tag, als der inzwischen verstorbene Mr Lorburn ihn des Bücherdiebstahls bezichtigt hatte, war er nicht mehr in der Nähe von The Willows gewesen. 69 Das Anwesen lag am anderen Ende von Paul’s Landing, und seine täglichen Besorgungen führten ihn nicht dort vorbei. Man hatte ihm verboten, wiederzukommen, und wenn er nicht gehorcht hätte, so hätte dies seine Schwiegermutter womöglich ihre Arbeitsstelle gekostet. Dennoch gab es Tage, an denen er imstande gewesen wäre, über das Tor zu klettern und auszuprobieren, ob ein Fensterladen locker oder eine Klinke abgebrochen war. Diese unbenutzten Bücher, die reihenweise im Dunkeln standen, zogen ihn unwiderstehlich an; deshalb nahm er andere Wege.
    Seit einigen Tagen war Mrs Tracy von entzündlichem Rheumatismus geplagt. Laura Lou musste sie versorgen und sich ganz allein um Mahlzeiten und Wäsche

Weitere Kostenlose Bücher