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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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herumliegen und zu Haufen anwachsen. Aber er schämte sich immer, wenn er sie ungeduldig anfuhr, und um seine scharfe Antwort vergessen zu machen, fügte er, während er sich die Hände abtrocknete, hinzu:«Und? Warst du heute Nachmittag aus?»
    « Nein.»
    « Warum nicht? Ein kleiner Spaziergang hätte dir gutgetan.»
    « Ich hatte keine Lust zum Spazierengehen.»
    Es war der ewig gleiche tägliche Dialog. Warum hatte sie nie Lust zum Spazierengehen? Früher war sie mit ihm wie ein junges Reh den Berg hinaufgesprungen – aber jetzt saß sie Tag um Tag nur in ihrem Stuhl und schaukelte und grübelte. Er hatte den Verdacht, dass sie – nicht ganz zu Unrecht – fand, es habe keinen Sinn, in einer Stadt auszugehen, wenn man kein Geld zum Einkaufen oder fürs Kino hatte. Sie sagte das nie, sie beklagte sich nie über Geldmangel, aber sie vermochte sich nicht vorzustellen, was man in einer Stadt wie New York sonst noch tun könnte.
    « Du hast also wieder den ganzen Tag zu Hause gehockt und mit keiner Menschenseele gesprochen? Ich finde es schrecklich, dass du immer so allein bist», sagte er und fuhr sich rasch und gereizt mit der Bürste durchs Haar.
    « Ich war nicht allein.»Sie schwieg kurz und brachte dann heraus:«Wenigstens nicht heute Nachmittag. Ich hatte Besuch.»
    « Besuch? Das ist gut.»Vermutlich war es einer von Mrs Hubbards Pensionsgästen, obwohl er wusste, dass Laura Lou sie in ihren nachbarlichen Annäherungsversuchen nicht ermutigte, teils aus Schüchternheit, teils wahrscheinlich aus einem erbitterten Instinkt des Selbstschutzes, aus dem Wunsch, ihn und ihrer beider Leben ganz für sich selbst zu behalten.
    « Jetzt komm mit nach unten … Wer war es denn?», fuhr er geistesabwesend fort und schob seinen Arm durch den ihren.
    Sie blieb stehen.«Mrs Tarrant.»
    Auch er hielt verblüfft inne.«Mrs Tarrant? Sie hat dich besucht? »
    « Ja.»
    « War der Salon frei? Hast du sie dort empfangen können?», fragte er und rief sich blitzartig die seltsame, unwahrscheinliche Szene vor Augen, wie Mrs Hubbards andere Damen sich neugierig um die unbekannte Besucherin scharten.
    « Ich weiß nicht. Ich hab dem Mädchen gesagt, sie soll ihr ausrichten, dass ich krank bin – und dann kam sie sofort hier rauf.»
    « Hier rauf – Mrs Tarrant?»Vance blickte sich entsetzt um, als würde ihm erst jetzt schonungslos bewusst, wie das Zimmer aussah: die Blasen werfenden, ausgebleichten, unterschiedlich gemusterten Tapeten, die unordentlich verteilten spärlichen Besitztümer und schlampig Intimes wie Bett, Waschtisch und Nachtkästchen.
    « Warum nicht? Außerdem hab ich sie ja nicht eingeladen.»
    « Ich meine nur, du hättest sie besser unten empfangen sollen. »
    Laura Lous Lippen wurden schmal.«Ich wollt sie gar nicht empfangen.»Wenn sie in diesem Tonfall und mit diesen waagrechten Lippen sprach, breitete sich die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter, die hie und da durchblitzte, plötzlich über ihr ganzes Gesicht aus. Vance blickte sie scharf an. Zweifellos zeigte sich diese Ähnlichkeit besonders erschreckend, weil sie in den letzten Monaten dünner geworden war und alle Farbe verloren hatte. Hatte seine Großmutter nicht einmal gesagt, Mrs Tracy sei so hübsch gewesen mit ihren rosa Seidenvolants, als sie auf der Hochzeitsreise in den Westen ihre Verwandten in Advance besucht hatte? Ihn fröstelte bei dem Gedanken, wie das Leben unablässig verstrich und heimlich seine entstellenden Spuren auf Geist und Fleisch hinterließ … Wozu war das alles gut, wenn im Innern bereits der Verfall wohnte?
    « Ich hab sie nicht gebeten raufzukommen», wiederholte Laura quengelig.
    « Schon gut, ist ja egal … Weswegen war sie denn da?»
    « Um uns zu einer Party einzuladen.»
    « Zu einer Party?»
    « Sie will für dich eine Party geben. Sie sagt, viele Leute sind ganz verrückt nach dir. Sie sagt, ich darf dich nicht so wegsperren … Sie hat mich gebeten, einen Abend auszusuchen …»Unter der gespielten Gleichgültigkeit klang ein sonderbarer Ton befriedigten Stolzes durch.
    « Und, hast du einen ausgesucht?», fragte Vance ironisch.
    « Ich hab gesagt, sie soll lieber dich fragen. Ich hab gesagt, ich mach mir nichts aus Partys, aber ich würd dich nicht abhalten hinzugehen.»Sie schwieg kurz und fügte dann streng hinzu:« Ich hab ihr gesagt, dass es keinen Sinn hat, wenn sie herkommt, um dich zu sehen, weil du immer weg bist.»
    Vance nahm dies schweigend hin. Was gab es dazu schon zu sagen? Mrs Tarrant war hier gewesen,

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