Ein altes Haus am Hudson River
um sie zu einer Party einzuladen – hatte ihre Einladung in diesem Raum ausgesprochen! Glaubte sie wirklich, Partys wären das Wundermittel gegen solche Notlagen? Oder hatte sie etwas anderes hergetrieben, ein Vorhaben, das ihr wegen Laura Lous offenkundiger Feindseligkeit nicht über die Lippen gekommen war? Über allem lag das trostlose, schillernde Licht des Versagens, wie damals an jenem fernen Tag in Euphoria, als Vance, von der Krankheit genesend, seine Verbitterung in eine erste Erzählung gegossen hatte. Vielleicht ertrug er das Leben nur noch als Stoffsammlung für seine Kunst. Für sich genommen wirkte es anhaltend hässlich und unkontrollierbar, ein Schrecken, dem man nicht entkam und dessen man nicht Herr wurde – als müsste man für immer im Dunkeln mit einem fratzenschneidenden Idioten kämpfen.
« Schau – es ist nichts mehr zu essen übrig, wenn wir jetzt nicht hinuntergehen», ermahnte er seine Frau.
« Ich mag nichts. Ich hab keinen Hunger. Außerdem ist es zu spät … du kommst immer zu spät.»
Plötzlich wütend, schnappte er sich Hut und Mantel. Seine Frau glich Mrs Tracy nicht nur im Gesicht.«Na gut. Wie du willst. Du hast vielleicht keinen Hunger, aber ich schon. Wenn es unten nichts mehr gibt, gehe ich und hol mir woanders etwas.»
« Tu das», erwiderte sie in immer dem gleichen teilnahmslosen Ton, und ohne noch einen Blick auf sie zu werfen, schlug er die Tür zu und rannte hinunter und aus dem Haus.
Gleich im ersten Lokal fand er einen Tisch, bestellte Würstchen und Kartoffeln mit einer Tasse Kaffee und verschlang alles heißhungrig. Er war noch so jung, dass Wut und Kummer ihn hungrig machten … Er kannte keinen der anwesenden Gäste, und als er satt war, zog er die Briefe heraus und überflog sie. Wie erwartet, ging es um Geschäftliches. Ein bedeutender Verleger, der seinen nächsten Roman haben wollte, bat ihn zu einem Gespräch, um vielleicht einen Plan auszuhecken, wie sich die Sache mit Dreck und Saltzer regeln ließe. Obwohl Vance keine Hoffnung hatte, fühlte er sich durch die Dringlichkeit dieser Bitte ermutigt. Wie leicht wäre es, die verbleibenden zwei Jahre seiner Knechtschaft durchzustehen, wenn ihm nur Laura Lou nicht wie ein Klotz am Bein hinge – wenn er nur frei und allein wäre! Aber es hatte keinen Sinn, diese ermüdende Tatsache immer wieder durchzukauen. Er hatte die Möglichkeit gehabt, sich zu befreien, und hatte sie abgelehnt. Wie sollte man im Voraus wissen, wohin eine Handlung führte und was daraus erwuchs? Vielleicht hatten die Burschen bei Rebecca Stram recht, und es war tatsächlich alles ein blindes Labyrinth, ein zusammenhangloses Durcheinander.
Die Verzweiflung der Jugend überkam ihn, plötzlich verließ ihn der Glaube an sich selbst, an seine Kräfte, an den wahren Reiz der Dinge, an seine Fähigkeit, sich über die nächsten beiden Jahre voller Armut, Plackerei und geistigem Hunger zu schleppen.
Er fragte die Bedienung, ob er telefonieren könne. Sie bejahte und führte ihn nach hinten. Er suchte eine Nummer heraus und wählte … Plötzlich meldete sich jemand, und er wiederholte die Nummer.«Ja», sagte die Stimme. Er stammelte:«Ich möchte mit Mrs Tarrant sprechen», und wieder kam dieselbe Stimme, mit einem vorwurfsvollen Unterton:«Aber Vance, erkennen Sie mich nicht? Ja … ich bin es … Ja, kommen Sie … kommen Sie sofort … bitte!»Er hängte auf und ging benommen zur Tür. Sie war da, sie war so nah, dass er ihre leichte Berührung an seiner Schulter zu spüren glaubte … Sie war all diese Monate da gewesen, so nah, und er hatte nie versucht, sie zu sehen. Es schien unglaublich, absurd, Kern und Herzstück seiner Torheit. Warum hatte er immer gehungert, wenn in Reichweite ein üppiges Bankett bereitstand?
Vor der Tür der Tarrants angelangt, sah Vance in seiner krankhaften Überempfindlichkeit gegenüber der verwirrenden Realität schlagartig alles in einem anderen Licht. Es war lange her, dass er eines dieser stillen, großzügig angelegten Gebäude betreten hatte, wo alles von Umständen zeugte, die so anders waren als die, die ihn gefangen hielten. Voller Gewissensbisse dachte er an die Szene, die er Laura Lou gemacht hatte. Kein Wunder, dass sie sich über Mrs Tarrants Besuch geärgert hatte, kein Wunder, dass jedes Entgegenkommen von Menschen, die in sorgenfreien, angenehmen Verhältnissen lebten, dem armen Kind gewollt herablassend erschien. Arme Laura Lou! Wenn er ihr ein kleines Häuschen in einer hübschen
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