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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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tun, als weiterhin irgendetwas in die Maschine zu hauen?»Aber selbst das tat er nur mit Unterbrechungen. Trotzdem war er peinlich auf seine finanzielle Unabhängigkeit bedacht, und obwohl er häufig die Gastfreundschaft der Spears und einiger anderer alter Freunde in Anspruch nahm, kam es nie vor, dass er sich auch nur einen Penny von ihnen geliehen hätte, eine nach Halo Spears eigener kurzer Lebenserfahrung ziemlich ungewöhnliche, ja geradezu unerklärliche Tatsache. Aber schließlich, dachte sie, gab es nichts an George Frenside, das nicht seltsam gewesen wäre, bis hin zu seinen Tugenden …
    Ihr Blick wanderte wieder über die Landschaft. Sie lag vor ihr in der vollkommenen Schönheit eines Juniabends, eines jener Abende, wo die Dämmerung heraufzieht über einen Himmel, der zu rein ist, um sich von dichter Dunkelheit durchdringen zu lassen. Was bedeutete das alles, fragte sie sich – dass es diese Schönheit gab, ewig sich wandelnd, Seelen befriedend und vollkommen, und in ihrem Angesicht Menschen, die samt und sonders diese Schönheit gern gegen hundert andere Dinge ausgetauscht hätten: ihre Mutter gegen Geld, mit dem sie bis zum Ende des Jahres auskämen, ihr Vater gegen seinen Club in New York und die Bridgerunde, auch Lorry natürlich gegen Geld (Geld war in der Familie Spear immer ein brennendes Problem) und George Frenside gegen ein gutes Gespräch in einem Bohemelokal.
    Das Mädchen teilte oder verstand zumindest die ererbte Feindseligkeit seiner Bewohner gegenüber Eaglewood. Für die letzten beiden Generationen von Lorburns hatte das Haus alles verkörpert, was sie seinetwegen nicht tun konnten. Der Einzige in der Familie, der es idealisierte (und auch das nur nach außen hin), war Mr Spear, der«eingeheiratet»hatte und immer noch sanft vom Widerschein dieser Ehre erglühte, wenn er von«unserem kleinen alten Haus am Hudson»sprach.
    Für ein amerikanisches Besitztum war es tatsächlich alt. Seit weit über zweihundert Jahren lebten dort Lorburns, das Haus, wie es heute dastand, war 1680 gebaut worden. Für Amerikaner vielleicht eine zu lange Zeit, um immer am selben Ort zu wohnen, und das Schlimmste war, dass der Besitz als solcher gewissermaßen zur Stammesverpflichtung wurde. Eaglewood verkaufen? Wer von ihnen hätte das gewagt? Als Pittsburgh und Chicago den feudalen Hudson eroberten und ein alter Besitz nach dem andern für ein Linsengericht verhökert wurde, saßen die Lorburns mit hochgezogenen Brauen im Abseits und dankten grimmig der Vorsehung, dass Paul’s Landing zu weit von New York weg lag, um die Millionäre anzuziehen. Und selbst jetzt wäre es, wenn sich der Zeitgeschmack bis in ihre einsame Höhe vorgetastet hätte, fraglich gewesen, ob einer von ihnen – Lorry nicht ausgenommen – es gewagt hätte, laut die Orte zu nennen, an die sie hätten ziehen, oder die Dinge, die sie hätten tun können, wenn sie Eaglewood los gewesen wären. Wie es der Zufall wollte, drohte von dieser Seite keinerlei Gefahr, denn der Zeitgeschmack hatte sie links liegengelassen. Im Falle einer solchen dräuenden Versuchung jedoch hätte sich Mr Spear mit der ganzen Kraft seiner Beredsamkeit dagegengestemmt.
    Mr Spear schätzte Eaglewood mit der Verehrung des Emporkömmlings für einen jüngst erworbenen Vorfahren. Als er die schöne Miss Lorburn heiratete, sagte New York:«Natürlich ist er sehr gescheit, aber wer hätte mit einem Spear in Eaglewood gerechnet?»Er wusste das und war entschlossen, New York zu beweisen, dass ein Spear sehr wohl auch in diesen Höhen zu Hause sein konnte.
    Er war der Sohn von Referend Harold Spear, einem redegewandten, beliebten Geistlichen, der jahrelang St. Ambrose mit New Yorks vornehmster Gemeinde gefüllt hatte. Dr. Spear, außerhalb der Kirche ebenso beliebt wie in ihr, hatte eine weitläufige Nichte der Van der Luydens geheiratet und damit den Weg für die noch brillantere Verbindung seines Sohnes geebnet; dennoch erforderte es seitens der Erbin von Eaglewood einigen Mut, einen Bewerber zu akzeptieren, den ihre Freunde«nur gescheit»nannten. Wenn Héloïse manchmal über diese Bezeichnung nachdachte (die ihre Mutter einmal spöttisch zitiert hatte), musste sie lächeln, weil sie so zutreffend war. Letztendlich hatten diese langweiligen alten Lorburns und ihr Clan ein feines Gespür für Nuancen besessen. Ihr Vater, den sie liebte und den sie zum Lachen brachte, war genau das: Er war nur gescheit. Vielleicht weil seine Frau dem gleichen Menschenschlag angehörte

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