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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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(obwohl sie als eine Lorburn niemals dort eingeordnet worden wäre, da eine Lorburn-Frau schön oder herrisch oder vornehm sein durfte, aber niemals etwas so Zweideutiges wie«gescheit»), hatte sie sich von dem jungen Spear angezogen gefühlt und ihn trotz des Widerspruchs der Familie geheiratet. Emily Lorburn, aufgewachsen in einer Atmosphäre strenger gesellschaftlicher Konformität, war leidenschaftlich nonkonformistisch geworden; ihr Mann, erzogen nach dem strikt orthodoxen Gesetz der Episkopalkirche, hatte erst heimlich Strauß und Renan 24 gelesen und war dann offen zu Darwin und Haeckel 25 übergegangen. Das junge Paar, verwirrt von der Kühnheit des jeweils anderen, hatte vielleicht gehofft, den Grundstock zu einer intellektuellen Rebellion zu legen, wenn es sich zusammentat, aber die Welt hatte rebelliert, ohne auf sie zu warten. Ihre Ketzereien waren zu harmlos, um außerhalb des eigenen Zirkels für Aufregung zu sorgen, und ihr Haus wurde nicht etwa zum Mittelpunkt des Aufwieglertums, wie sie sich das vorgestellt hatten, sondern war nur bekannt dafür, dass man dort in der Regel nette Leute traf.
    Obwohl all dies für ihre Kinder seit Langem offen zutage lag, ahnten Mr und Mrs Spear es immer noch nur dunkel, und Halo wusste, dass ihre Mutter in Eaglewood und den damit verbundenen Verpflichtungen und nötigen Entbehrungen insgeheim das Haupthindernis für die Verwirklichung ihrer ehrgeizigen Vorstellungen sah. Mrs Spear fand, was sie und ihr Mann brauchten, um die beabsichtigte revolutionäre Wirkung hervorzurufen, war ein Haus in New York, und jahrelang hatte sie all ihre Energie darein gesetzt, ein solches zu bekommen. Es waren die Jahre von Halos Kindheit und früher Jugend gewesen, sparsame Jahre, wo sie winters eingeschneit in Eaglewood saßen und sommers (wenn sie das Haus vermieten konnten) in Europa Orte von schäbiger Schönheit besichtigten. Doch trotz dieser Opfer hatten sie den ungleichen Kampf aufgeben müssen; aus dem Traumhaus in New York war eine kleine Wohnung geworden, aus der Wohnung lediglich sechs Wochen in einer Familienpension. Für den Rest des Jahres blieb Eaglewood, und wie Halo wusste, rechnete ihre Mutter gegenwärtig ängstlich nach, ob sie angesichts der allgemein steigenden Kosten und Lorrys ständiger Schulden und anhaltender Unfähigkeit, Arbeit zu finden, womöglich sogar auf den einen Monat in der Familienpension verzichten mussten.
    Es gab Zeiten, wo das Mädchen Eaglewood ebenso als Gefängnis empfand wie die Eltern. Aber die Tatsache, dass sie leichter entfliehen konnte als ihre Eltern, machte das Dasein dort weniger belastend; außerdem liebte sie den Besitz, statt aus familiären Gründen stolz darauf zu sein und ihn aus allen anderen Gründen zu hassen. Das Haus selbst bedrückte sie, trotz seiner Porträts und Reliquien und des verwehenden Duftes nach alter Zeit, weil es mit unablässigen Kämpfen verbunden war: das Dach abdichten, die Decken ausbessern, den Heizkessel am Laufen halten, Vorhänge und Teppiche wenden und flicken, Steuern zahlen. Aber Armut und fehlende Umsicht konnten ihr nicht verleiden, was außerhalb des Hauses lag: den weiten vernachlässigten Park mit den alten Bäumen, die ihre ungestutzten Kuppeln über Rasenflächen breiteten, die mittlerweile zu Weideland verkommen waren, den Wald dahinter, in dem kleine Bäche murmelten und glitzerten, und diesen immer neuen Ausblick, der in dem Mädchen ein Gefühl engen Verbundenseins weckte, das allen anderen abging.
    Ach, dieser Blick … Plötzlich dachte sie:«Ich glaube, der Junge, den ich letzte Woche in The Willows getroffen habe, würde ihn als Einziger wirklich so zu schätzen wissen wie ich», und der Gedanke riss sie aus ihrem Traum und ließ sie ruckartig aufspringen.
    « Oh», rief sie mit einem Schrei, in dem sich Freude und Bestürzung mischten, denn sie sah fast alles im Leben erst einmal von der vergnüglichen Seite, selbst wenn es eigentlich zu ihrem Nachteil war.
    George Frenside hob den Kopf von seiner Zeitung und richtete seine Augengläser spöttisch auf sie:«Was ist los?»
    « Ich habe eine Verabredung vergessen.»
    « Was? Schon wieder?»
    Sie nickte zerknirscht.«Ich bin ein Scheusal – das war einfach schändlich von mir!»Sie sprach mit sich selbst, nicht mit Frenside. Ihre Familie war viel zu sehr an ihre Reueattacken über vergessene Verabredungen gewöhnt, als dass sie sich davon in ihren Gedankengängen hätte stören lassen.
    Einen Augenblick lang stand sie da, über ihr

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