Ein altes Haus am Hudson River
Der Raum mit dem blanken Dielenboden sah aus wie ein Badehaus und war so sauber, als sei er soeben gescheuert worden; der hineingewehte Sand und verschrumpelte Tang ließen allenfalls den Gedanken aufkommen, es könne hier eine Meerjungfrau geputzt haben. Vance lachte laut vor Freude.« Oh, Laura Lou, ist das nicht herrlich?»
Sie stand auf der Schwelle und blickte sich scheu um, und er wandte sich ihr zu und zog sie herein. Auf dem Tisch mit den Lebensmitteln befand sich auch eine Kerze in einem Blechleuchter, und an der Wand stand eine Art Feldbett mit zwei Kissen und einer groben braunen Decke. Zwei Küchenstühle, eine Handvoll angeschlagenes Geschirr auf einem Regalbrett, ein zerborstener Spiegel und ein Stapel alter Körbe und Keksdosen in einer Ecke vervollständigten die Möblierung. Über dem Bett hing ein ramponierter Kalender mit dem Datum vom 15. September und der Aufforderung:
« KINDLEIN, LIEBET EINANDER!»
Vance brach in Gelächter aus, doch als er ein leichtes Zittern um Laura Lous Lippen sah, sagte er:«Komm, setz dich, ich kümmere mich ums Feuer.»Er fürchtete, in der windigen Hütte könnte es nachts zu kalt für sie werden, und so kniete er sich hin und stopfte den Ofen mit Brennmaterial voll. Das war ganz entschieden sein Tag: Das Holz fing Feuer, das Ofenrohr zog. Doch als er so davor kniete, beschlich ihn eine leise Angst. Laura Lou saß hinter ihm. Sie hatte nicht gesprochen, seit sie die Hütte betreten hatten, und er fragte sich, ob sie womöglich zutiefst enttäuscht war. Vielleicht hatte sie ein gemütliches, überheiztes Zimmer in einem Hotel in New York oder Philadelphia erwartet, mit weißen Leintüchern und fließendem Wasser – o Gott, dachte er plötzlich, wo um Himmels willen sollten sie sich waschen? Es gab weder Schüssel noch Krug, noch viel weniger Seife oder Handtuch. Im Sommer liefen der Platzwart und seine Frau sicherlich einfach nur zum Meer für ein rasches Bad … Vance wagte nicht, sich umzusehen. Schließlich hörte er ein Geräusch hinter sich und spürte Laura Lous Hände auf seinen Schultern. Ohne aufzustehen, drehte er sich um, und da war dicht über ihm ihr Gesicht, gerötet und nass von Tränen.
« Was ist, Liebling? Ist dir das Haus zu primitiv, zu einsam? Bedauerst du, dass wir hergekommen sind?», rief er reumütig.
Sie schenkte ihm ein Regenbogenlächeln.«Ich werd nie irgendwas bedauern, solang du da bist.»
« Aber warum …»
« Ich bin bloß so müde», sagte sie, und ihre Stimme klang kläglich wie die eines Kindes.
« Natürlich, mein Schatz. Hier, warte, ich richte dir das Bett gemütlich her, dann kannst du dich hinlegen.»Er schüttelte die dünnen Kissen auf, sie zog ihre Schuhe aus, und er deckte sie mit ihrem Mantel zu und kniete sich nieder, um ihr die kalten Füße warmzureiben. Sie sah so klein und hilflos aus, wirkte so verständnislos und gänzlich auf seine Gnade angewiesen, dass seine Leidenschaft gezügelt wurde und er sie mit brüderlicher Zärtlichkeit besänftigte.«So, das Feuer wird das Haus im Nu aufwärmen, und während du dich ausruhst, gehe ich zum Hof hinüber und schaue mal, was ich zum Abendessen bekommen kann.»
« O Vance, ich brauche kein Abendessen.»
« Aber ich, und zwar ein kochend heißes», rief er mit aufgesetzter Heiterkeit zurück. Hätte er sich nicht denken können, dass sie sich woanders wohler fühlen würde, in einem Hotel nebst Restaurant mit Marmorausstattung und einem guten Kino um die Ecke, wo sie in die Liebesgeschichte der Leinwandheldin auch ihre eigene hineinlesen konnte?
Er verzog das Gesicht bei diesem Gedanken und zündete die Kerze an, damit das Häuschen so fröhlich wie möglich aussah; dann ging er hinaus und wanderte über ein Stoppelfeld zum Hof. Die Bauersfrau, eine große, gutmütige Schwedin, empfing ihn mit freundlicher Neugier. Sie habe schon ein paarmal junge Leute so spät im Dezember hier gehabt, sagte sie, aber noch nie ein Paar in den Flitterwochen. Der Gedanke gefiel ihr, sie begann sogleich eine Dose Tomatensuppe zu erhitzen und bot Vance einen Kochtopf an, damit sie sich zum Frühstück heiße Milch machen konnten. Während sie die Suppe erwärmte, saß er am Küchenfenster und blickte aufs Meer hinaus. Wie musste es sein, immer hier zu leben – Einsamkeit und Schönheit und dieses gewaltige, rastlose Etwas, das Tag und Nacht mit vielen Stimmen rief! («Viele Stimmen» – wo hatte er das gelesen?) So, sagte die Frau, die Suppe sei jetzt gut und heiß, vielleicht wolle
Weitere Kostenlose Bücher