Ein altes Haus am Hudson River
überhaupt nicht bewusst, sondern von seiner Nähe umschlossen war wie von einer Kristallkugel.
Allmählich wurde diese Kristallwand durchbrochen von dem, was auf der Bühne geschah. Die Schönheit der jungen Schauspielerin und die unwiderstehliche Musik der Worte schienen in Laura Lou die beunruhigende Ahnung von etwas Verhängnisvollem zu wecken, und Vance spürte, wie sie ängstlich nach seinem Arm griff.«O Vanny, das geht bestimmt schlecht aus», flüsterte sie, und eine Träne rann zitternd von den Wimpern herab.
« Liebling», hauchte er zurück und fragte sich, warum in aller Welt er für ein abendliches Ausgehen in den Flitterwochen« Romeo und Julia»gewählt hatte; doch als die Tragödie ihren Lauf nahm und schließlich über sie hereinbrach, sah er, dass selbst ihre Tränen, die nun silbern strömten, Teil des Glücks waren, das sie bis zu den nassen Wimpern durchtränkte.«Es ist so furchtbar … es ist so schön …», stöhnte sie abwechselnd, während das Stück auf sein tödliches Ende zuging, und mit einer verstohlenen Bewegung trocknete sie ihre nasse Wange an seinem Ärmel. Und im grübelnden Gespräch über die schönen toten Liebenden gingen sie heim zu einer weiteren Liebesnacht.
Am nächsten Morgen erschien Vance in der Redaktion der« Stunde». Als er die Treppe hinaufsprang, stieß er fast mit Frenside zusammen, der gerade langsam herunterkam. Der Ältere blieb stehen und blickte ihn neugierig an.«Sie gehen wohl rauf, um Ihre Mitarbeit zu regeln?»
« Na ja, ich hoffe es, Sir.»
« Prima. Viel Glück.»Frenside nickte und lief weiter. Nach ein paar Stufen drehte er sich um und rief nach oben:«Ich würde mich an Ihrer Stelle nicht für zu lange Zeit binden – vor allem nicht mit der Belletristik.»
Vance, ein Neuling bei solchen Verhandlungen, starrte ihn einen Augenblick an; er verstand nicht ganz.
« Bleiben Sie frei – bleiben Sie frei, solange Sie können», wiederholte Frenside und hinkte hinunter, wobei er jeder Stufe einen schweren Schlag mit seinem Stock versetzte. Vance begab sich in die Redaktion.
Tarrant hieß ihn herzlich willkommen. Alle Redaktionsmitglieder hatten«Nicht abgeholt»gelesen und knüpften an dessen Erscheinen in der nächsten Nummer große Hoffnungen. Tarrant ließ Zigaretten und Cocktails reichen und machte ihn mit Eric Rauch bekannt, dem stellvertretenden Chefredakteur. Eric Rauch war ein zungenfertiger junger Jude mit schönen Augen und einem entgegenkommenden Lächeln; er hatte einen kaum beachteten Gedichtband veröffentlicht,«Voodoo», und eine viel besprochene Sammlung von Gesellschaftsskizzen mit dem Titel« Sag, wann». Zum ersten Mal unterhielt sich Vance mit einem Autor und wurde von ihm als seinesgleichen behandelt. Als Rauch sagte:«Sie haben eine neue Richtung eingeschlagen», durchfuhr Vance dieses Lob wie Feuer, und er wäre zu gern ins Hotel zurückgelaufen und hätte Laura Lou davon berichtet. Doch was hätte es ihr bedeutet?
Nach diesem angenehmen Vorgeplänkel blickte Tarrant auf die Uhr und sagte:«Halb zwei – meine Güte, ich muss ins ‹Century› zum Lunch mit dem alten Willsdon.»Der Historiker Willsdon hatte der«Stunde»einen Artikel über«Benjamin Franklin in einem neuen Licht»versprochen, und Tarrant rief im Weggehen:«Die Einzelheiten können Sie mit Eric besprechen. Sie kommen doch bald wieder?»
Eric Rauch schlug vor, Vance solle mit ihm im«Cocoanut Tree», einem Lokal in der Nähe, essen gehen, und auf dem Weg dorthin tanzte Vance die Straße entlang, als wäre der öde Gehsteig der Meeresstrand. Mit einem Mann wie Rauch zu reden war für ihn so neu wie der erste Blick auf den Ozean und fast so aufregend …
Im«Cocoanut Tree»trafen sie andere Leute, die schrieben, malten oder sonst etwas mit Kunst zu tun hatten. Vance, dessen Horizont sich seit seinem ersten Besuch in New York beträchtlich erweitert hatte, kamen die Namen von zwei oder drei älteren Männern bekannt vor, aber von denen, um die sich Rauch am meisten bemühte – die Tonangebenden, erklärte er – und die ebenso jung aussahen wie Vance selbst, hatte er noch nie etwas gehört. Alle begrüßten ihn gut gelaunt, und ein Kritiker namens Redman sagte:«Und? Wann liefern Sie uns einen Roman?»
« Darum kümmert sich ‹Die Stunde›», erwiderte Rauch rasch, und ein anderer junger Mann mit einem blauen Auge in einem fahl leuchtenden Gesicht und einem vielsilbigen, auf«-owsky»endenden Namen beschwor Vance mit inbrünstigen slawischen
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