Ein amerikanischer Thriller
Kennedy töten«, sagte Littell.
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(Miami, 23. 9. 63)
1933 und 1963. Eine Neuauflage nach dreißig Jahren.
Miami 1933. Giuseppe Zangara versucht, den neugewähl-
ten Präsidenten Franklin D. Roosevelt zu erschießen. Er
verfehlt sein Ziel – und tötet Anton Cermak, den Bürger-
meister von Chicago.
Miami 1963. Für den 18. November ist ein Autokonvoi
durch Miami vorgesehen.
Littell fährt im Schleichtempo den Biscayne Boulevard
ab. Jeder Meter erzählt ihm etwas.
Die Zangara-Geschichte hatte ihm Carlos letzte Woche
erzählt.
»Giuseppe war scheißverrückt. Jungs aus Chicago haben
ihm Geld gegeben, damit er Cermak umnietet und die Schuld
auf sich nimmt. Der Knal kopf wol te ums Verrecken sterben
und hat’s zu guter Letzt auch geschafft. Frank Nitti hat sich
nach der Hinrichtung um die Familie gekümmert.«
Er traf sich mit Carlos, Sam und Santo. Erreichte, daß
man ihm Petes und Kempers Freiheit zugestand. Sie unter-
hielten sich ausführlich über einen geeigneten Sündenbock.
Carlos wol te einen Linken, weil er davon ausging, daß ein
linker Mörder die Anti-Castro-Stimmung anheizen würde.
Doch wurde er von Trafficante und Giancana überstimmt.
Sie stifteten ebensoviel wie Howard Hughes. Unter einer
Bedingung: Sie wollten einen rechtsextremen Sündenbock.
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Sie wollten nach wie vor Fidel in den Arsch kriechen. Sie
wollten wieder an Raul Castros Drogenschatz ran und eine
Versöhnung fünf Minuten vor zwölf zustande bringen. Sie
hofften, nach Finanzierung des Anschlags um die Rückgabe
ihrer Casinos ersuchen zu können.
Ein zu verwickelter Gedankengang. Politisch zu naiv.
Seine Überlegungen waren klarer und schlichter.
Das Attentat ist durchführbar. Verantwortliche und
Ausführende können entkommen. Bobbys Anti-Gangster-
Kreuzzug hat sich erledigt.
Die weitere Entwicklung läßt sich nicht vorhersehen und
wird wahrscheinlich ausgesprochen zwiespältig verlaufen.
Littell fuhr durch die Innenstadt von Miami. Er sah sich
mögliche Routen für Autokolonnen an – weite, übersicht-
liche Straßen.
Er sah heruntergekommene Wohnblocks. Er sah Häuser
mit »Zu-Vermieten«-Schildern und ein Waffengeschäft.
Er konnte die Autokolonne vorbeifahren sehen. Er konnte
sehen, wie der Kopf des Mannes explodierte.
Sie trafen sich im Fontainebleau. Bevor auch nur ein Wort fiel,
überprüfte Pete den ganzen Raum systematisch auf Wanzen.
Kemper kümmerte sich um die Drinks. Sie hatten sich
an einen Tisch bei der Bar gesetzt.
Littell legte den Plan vor.
»Wir bringen den Sündenbock bis spätestens 1. Oktober
nach Miami. Wir lassen ihn ein bil iges Haus in Downtown
mieten, in der Nähe der bekannten oder wahrscheinlichen
Route der Autokolonne, und ein Büro direkt an der Strecke,
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sobald sie endlich feststeht. Ich bin heute früh jede wichti-
ge Verbindungsstraße zwischen Flughafen und Innenstadt
abgefahren. Ich gehe davon aus, daß wir uns mit einiger
Wahrscheinlichkeit zwischen mehreren Häusern und Büros
entscheiden können.«
Pete und Kemper sagten nichts. Beide wirkten immer
noch wie vom Donner gerührt.
»Sobald der Sündenbock hier aufgetaucht ist, lassen wir ihn
bis zum Tag der Autoparade nicht mehr aus den Augen. In
der Nähe seines Büros und seiner Wohnung befindet sich ein
Waffengeschäft, in das einer von euch einbricht, um mehrere
Gewehre und Pistolen zu stehlen. Hetzliteratur und andere
belastende Indizien werden im Haus untergebracht, und wir
sorgen dafür, daß unser Mann sie in die Hand nimmt, um
sicherzustellen, daß Fingerabdrücke vorhanden sind.«
»Und das Attentat?« fragte Pete. Littell prägte sich den
Augenblick ein: drei Männer, die um einen Tisch herum-
saßen, und es war so still, daß man eine Nadel hätte zu
Boden fallen hören.
»Am Tag der Veranstaltung«, sagte Littell, »halten wir
unseren Mann im Büro an der Route fest. Dort befindet sich
auch das Gewehr vom Einbruch im Waffenladen, mit sei-
nen Fingerabdrücken bedeckt. Kennedys Wagen fährt vorbei.
Unsere beiden echten Schützen feuern von zwei rückwärtig
gelegenen Dächern und töten ihn. Der Mann, der unseren
Sündenbock in Gewahrsam hält, feuert auch auf Kennedys
Wagen und verfehlt ihn, läßt das Gewehr fal en und erschießt
den Sündenbock mit einem gestohlenen Revolver. Er flieht
und wirft den Revolver in einen Gul y. Die Polizei findet die
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Waffen und vergleicht sie mit der Einbruchsanzeige. Sie wird
aus den Indizien
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