Ein amerikanischer Thriller
Steuer ein.
Er hielt an der 46. Straße, Ecke Collins. Ein Verkehrspo-
lizist tauchte auf. Kemper bemerkte das Parkverbotsschild an
der Ecke. Er kurbelte das Fenster runter. Der Bulle drückte
ihm einen stinkenden Lumpen ins Gesicht.
In ihm tobte ein chemischer Krieg.
Der Gestank kämpfte gegen die Weckamin-Pillen an.
Der Gestank konnte Chloroform oder Formalin sein. Der
Gestank konnte bedeuten, daß er tot war.
NEIN, schlug sein Herz – du lebst.
Seine Lippen brannten. Seine Nase brannte. Er schmeckte
ein Blut-Chloroform-Gemisch auf der Zunge.
Er versuchte zu spucken. Seine Lippen wollten sich nicht
öffnen lassen. Das Blut drang ihm durch die Nase.
Er verzog den Mund. Irgendwas zerrte an seinen Wangen.
Als ob sich Klebeband löste.
Er atmete tief ein. Versuchte, Arme und Beine zu bewegen.
Versuchte aufzustehen. Eine zentnerschwere Last drückte
ihn nach unten.
853
Er schüttelte sich. Stuhlbeine kratzten über einen Holz-
fußboden. Er schüttelte die Arme und spürte Stricke, die
ihm auf der Haut brannten. Kemper öffnete die Augen.
Ein Mann lachte. Eine Hand hielt ihm auf Karton ge-
klebte Polaroidschnappschüsse vor die Augen.
Er sah Teo Paez, ausgeweidet und gevierteilt. Er sah Fulo
Machado, dem sie Messer in die Augen gebohrt hatten. Er
sah Ramón Gutiérrez, den Kopf von großkalibrigen Kugeln
zerfetzt.
Die Fotos verschwanden. Die Hand drehte ihm den Kopf
zur Seite.
Kemper nahm langsam das Panorama wahr.
Er sah ein schäbiges Zimmer und zwei dicke Männer in
einem Türrahmen. Er sah Néstor Chasco – an die Rückwand
genagelt, mit Eispickeln durch Hand- und Fußgelenke.
Kemper schloß die Augen. Eine Hand ohrfeigte ihn. Ein
großer, schwerer Ring schnitt ihm die Lippen auf.
Kemper öffnete die Augen.
Pete hatten sie festgekettet. Sie hatten ihn mit doppelten
Handschellen und Fußfesseln an einen Stuhl gekettet. Der
Stuhl war direkt im Fußboden befestigt.
Ein Lumpen klatschte ihm ins Gesicht. Kemper atmete
die Dämpfe freiwillig ein.
Geschichten drangen an sein Ohr, wie durch eine Echokam-
mer. Er machte drei Erzählerstimmen aus.
Néstor ist ganz dicht an Castro rangekommen. Das muß
man ihm lassen.
Ein so zäher Kerl – ein Jammer, dem das Licht auszublasen.
854
Néstor sol einen Castro-Mitarbeiter bestochen haben. Dem
Mitarbeiter zufolge soll Castro ein Attentat auf Kennedy
erwägen. Der Mitarbeiter wollte wissen, was mit diesem
Kennedy los sei? Zuerst will er uns erobern, dann zieht er
sich zurück – wie eine Fotze, die nicht weiß, was sie will.
Wenn einer eine Fotze ist, dann Fidel. Der Mitarbeiter
soll Chasco gesagt haben, Fidel werde nie mehr mit der
Firma zusammenarbeiten.
Er meint, Santo habe ihn beim Heroinhandel rein-
gelegt. Der hat eben keine Ahnung, daß Néstor & Co.
dahinterstecken.
Bondurant hat sich in die Hosen gemacht, siehst du den
Fleck?
Santo und Mo sind nicht zimperlich mit Néstor umge-
gangen. Ist aber bis zuletzt tapfer geblieben, allen Respekt.
Mir stinkt das alles. Die Warterei geht mir allmählich
auf die Nerven.
Die sind bald zurück. Und werden die zwei hier bestimmt
sehr unsanft rannehmen.
Kemper spürte, wie seine Blase nachgab. Er holte tief
Luft und bemühte sich, wieder in die Bewußtlosigkeit ab-
zutauchen.
Ihm träumte, er bewege sich. Ihm träumte, jemand säubere
ihn und wechsle ihm die Kleider. Ihm träumte, er höre den
grimmigen Pete Bondurant schluchzen.
Ihm träumte, er könne wieder atmen. Ihm träumte, er
könne reden. Er verfluchte Jack und Claire, weil sie ihn
verstoßen hatten.
855
Er wachte in einem Bett auf. Das mußte seine alte Suite
im Fointainebleau sein – oder ihr genaues Gegenstück.
Er hatte saubere Kleider an. Jemand hatte ihm die ver-
dreckten Unterhosen ausgezogen.
Er spürte die Verletzungen von den Stricken an den Hand-
gelenken. Er spürte die Klebebandreste im Gesicht.
Im Nebenzimmer hörte er Stimmen – Pete und Ward
Littell.
Er versuchte aufzustehen. Die Beine machten nicht mit.
Er setzte sich aufs Bett und hustete sich die Lungen aus
dem Leib.
Littell kam rein. Er schaute imponierend aus – der Ga-
bardineanzug verlieh ihm Gewicht.
»Das hat seinen Preis«, sagte Kemper.
Littell nickte. »Richtig. Einen Preis, den ich mit Carlos
und Sam ausgemacht habe.«
»Ward –«
»Auch Santo ist einverstanden. Und du und Pete, ihr
könnt behalten, was ihr gestohlen habt.«
Kemper stand auf. Ward stützte ihn.
»Was müssen wir tun?«
»John
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