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Ein amerikanischer Thriller

Ein amerikanischer Thriller

Titel: Ein amerikanischer Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Ellroy
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sah sich verärgert nach ihnen um. »Komm, ich
    lad’ dich zum Abendessen ein«, sagte Littell.
    Sie entschieden sich für Steaks im Stockyard Inn. Helen
    redete wie ein Wasserfal , und der Rotwein stieg ihr zu Kopf.
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    Sie wirkte nicht mehr staksig, sondern schlank; ihr Ge-
    sicht hatte an Ausdruck gewonnen. Sie hatte aufgehört zu
    rauchen – das waren Kleinmädchenal üren gewesen, sagte sie.
    Sie hatte ihr Haar stets hochgesteckt getragen, um trotzig
    ihre Narben vorzuzeigen. Jetzt trug sie es offen – wodurch
    ihre Entstellung beiläufiger wirkte.
    Ein Kellner rollte den Dessertwagen heran. Helen ent-
    schied sich für Pecan-Nußtorte; Littel bestel te einen Brandy.
    »Ward, warum läßt du mich ständig reden?«
    »Weil ich abwarten und dir ein Resümee geben möchte.«
    »Was für ein Resümee?«
    »Über dich, mit einundzwanzig.«
    Helen stöhnte. »Ich habe gerade angefangen, mich ein
    bißchen erwachsen zu fühlen.«
    Littell lächelte. »Damit wollte ich sagen, daß du an Hal-
    tung gewonnen hast, aber nicht auf Kosten deiner Begei-
    sterungsfähigkeit. Du hast dich vor Eifer gern verheddert,
    wenn du etwas erklären wolltest, aber jetzt denkst du nach,
    bevor du sprichst.«
    »Jetzt verheddert man sich nur noch in meinem Gepäck,
    wenn ich wegen eines Mannes die Beherrschung verliere.«
    »Ein Mann? Du sprichst von einem Freund, der 24 Jahre
    älter ist als du, der dich seit frühester Kindheit kennt.«
    Sie legte ihre Hand auf seine. »Ein Mann. In Tulane hatte
    ich einen Professor, der behauptete, daß sich die Verhältnisse
    zwischen alten Freunden und Studenten und Professoren än-
    dern. Auf ein Vierteljahrhundert mehr oder weniger kommt
    es da nicht an.«
    »Echt? Er war fünfundzwanzig Jahre älter?«
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    Helen lachte. »Sechsundzwanzig. Er versuchte, den Un-
    terschied herunterzuspielen.«
    »Du hast was mit ihm gehabt?«
    »Ja. Und das war weder unheimlich noch lächerlich, das
    war nur der Fall, wenn ich mit jungen Semestern ausging,
    die meinten, sie könnten mich meiner Narben wegen ohne
    weiteres herumkriegen.«
    »Jesus Christus«, sagte Littell.
    Helen drohte ihm mit der Gabel. »Jetzt bist du wirklich
    empört, denn im Grunde deines Herzens bist du ein Jesui-
    tenschüler geblieben und nimmst den Namen des Herrn
    nur in den Mund, wenn du ernsthaft die Beherrschung
    verlierst.«
    Littell trank einen Schluck Brandy: »Ich wollte gerade
    sagen, ›Jesus Christus, haben Kemper und ich dich für Kerle
    deiner Altersgruppe verdorben?‹ Vergeudest du deine Jugend
    damit, Männern in mittleren Jahren nachzustellen?«
    »Du solltest mal dabeisein, wenn Susan und Claire und
    ich uns miteinander unterhalten.«
    »Soll das heißen, daß meine Tochter und ihre besten
    Freundinnen fluchen wie die Zimmerleute?«
    »Das nicht gerade, aber wir reden seit Jahren über Männer
    im allgemeinen und über Kemper und dich im besonderen.
    Jetzt weißt du, wieso dir ständig die Ohren geklungen haben.«
    »Bei Kemper kann ich das nachvollziehen. Er sieht gut
    aus und hat Schneid.«
    »Ja, und er ist ein Held. Aber auch ein Schwerenöter, das
    ist sogar Claire bekannt.«
    Helen drückte seine Hände. Er spürte, wie sein Puls raste.
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    Jesus Christus, scheiß drauf – die Idee wollte ihm nicht
    mehr aus dem Kopf.
    Littell nahm die Brille ab. »Ich bin nicht so sicher, ob man
    Kemper wirklich als Helden bezeichnen kann. Ich glaube, daß
    echte Helden wahrhaft leidenschaftlich und großmütig sind.«
    »Das klingt wie ein Epigramm.«
    »Ist es auch. Stammt von Senator John F. Kennedy.«
    »Hast du was für den übrig? Ist das nicht so ein schreck-
    licher Liberaler?«
    »Ich hab’ was für seinen Bruder Robert übrig, der ein
    wirklicher Held ist.«
    Helen kniff sich in den Arm. »Und das sagt mir ein alter
    Freund der Familie, der mich schon gekannt hat, als mein
    Vater noch lebte.«
    Seine Idee – Jesus Christus.
    »Ich werde für dich zum Helden werden«, sagte Littell.
    »Mir kommen gleich die Tränen«, sagte Helen.
    Er fuhr sie ins Hotel und trug ihr Gepäck nach oben. Helen
    küßte ihn zum Abschied auf den Mund. Seine Brille verfing
    sich in ihrem Haar und fiel runter.
    Littel fuhr nach Midway zurück und erwischte den 2-Uhr-
    Flug nach Los Angeles. Die Stewardeß schaute überrascht
    auf sein Ticket: Der Rückflug ging eine Stunde nach der
    Landung.
    Nach einem letzten Brandy konnte er einschlafen. Er kam
    erst bei der Landung wieder halbwegs zu sich.
    Er hatte vierzehn Minuten Zeit. Flug 55

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