Ein anderes Leben
Vater gepflanzt hatte, das war ein Glücksbaum, aber sicherheitshalber hatte sein Großvater eine eiserne Leiter geschmiedet für den Fall, dass es brannte, sie führte vom Schlafzimmerfenster zur Erde hinunter. Zuerst also das Haus, das grün war, und am Giebel war die eiserne Leiter angebracht, und davor wuchs die Eberesche, die ein Glücksbaum war, dann die Hagebuttenhecke, dann die Quelle mit den Fröschen, die man verteidigen musste, dann die Wiesen, dann der Bach, dann die Landstraße. Er weiß nicht, ob seine Not geringer wird, wenn es ihm gelingt, das Haus zu kartographieren, aber der Junge sieht ihn an, und er sieht den Jungen an; zögert er, hebt die Katze den Kopf in einer auffordernden Geste.
Da schreibt er weiter von dem grünen Haus. Im Winter ist die Eberesche voll Schnee und Vogelbeeren und Vögeln. Das ist es, woran er sich erinnert. Die Telefonnummer ist Sjön 3, Paris.
Kapitel 14
FLIEHENDE BEKASSINE
Er hatte da seit langem gewusst, dass er sank.
Er hatte keine Illusionen. Er hatte keinen Hang, sich selbst oder andere zu belügen. Es war auch unmöglich, zu lügen. Er trank.
Es war jedoch nicht so, dass alle es sehen konnten. Das konnten sie nicht.
Wenn er zu Essen geladen war, trank er sehr vorsichtig, observierte mit beinahe wissenschaftlicher Exaktheit seinen Promillegehalt, hatte bestimmte Regeln aufgestellt, dass er zwar mit Whisky begann, aber dann unmerklich zu Wein überging, um sich nach Mitternacht mit Bier zu trösten. Seinen verbliebenen Freunden – die verbliebenen waren eigentümlicherweise fast alle, die er gehabt hatte, sie machten sich Sorgen, aber sie ließen ihn nicht im Stich – ihnen lieferte er funkelnd klarsichtige Analysen dessen, wie schlimm es war.
Seiner Frau verheimlichte er nichts, aber er sah an ihren traurigen Augen, dass sie die Analysen ein paarmal zu oft gehört und bemerkt hatte, dass in der Praxis nichts geschah.
Dass seine Klarsicht vollständig unproduktiv war.
Wenn er von diesen Abendessen oder Festen nach Hause kam, war er zwar bewundernswert klar und liebenswürdig und scheinbar überhaupt nicht betrunken, aber er öffnete unmittelbar eine Flasche Wein und leerte sie. Er brauchte sich so vor niemandem zu schämen, außer vor ihr natürlich. Doch sie schwieg; er nahm an, dass sie nur Trauer empfand.
Er sank, nicht mehr langsam. Er wusste es, sie wusste es, am Ende wussten es alle.
Sein intellektueller Umgang mit den Problemen ist aufsehenerregend klarsichtig . Das ist teilweise der Grund dafür, dass er sinkt.
Er hat zum Beispiel schon lange die Ärzteschaft durchschaut . Wenn er in Dänemark oder Schweden einen Arzt aufsucht und seine haarsträubende Beschreibung seines Zustands abgibt, inklusive einer exakten und wahren Einschätzung seines Alkoholkonsums, wirklich ohne zu beschönigen, sind sie mitfühlend und halten sich gern bei seiner Depression auf. Sie meinen oft, seine Depressionen seien die Ursache seines Alkoholkonsums. Ein sonnenklarer Fall.
Der Patient ist deprimiert und trinkt deshalb.
Sie verschreiben daraufhin Tabletten in verschiedenen Farben von immer kontroverserem Charakter, meinen, dass Rohypnol, das damals noch nicht als Droge klassifiziert ist, sein Problem lösen kann. Er findet nach und nach heraus, dass die Entzugserscheinungen, die auftreten, nachdem er in regelmäßigen Abständen Rohypnol abgesetzt hat, grauenvoll sind. Vielleicht verstärkt dadurch, dass sein Alkoholkonsum gleichzeitig konstant geblieben ist.
Die roten, rosa, blauen oder grünen Tabletten, die die liebevollen und kulturinteressierten Ärzte verschreiben, bewirken merkwürdigerweise keine Linderung.
Er ist ja eine Künstlernatur, stellen sie fest. Das ist ja bewiesen. Er ist praktisch weltberühmt, besonders als Dramatiker, besonders in Dänemark, wo die Regenwürmer drei Spielzeiten lang vor ausverkauftem Haus in Det Kongelige gespielt und sehr geliebt worden ist. Der Schwede ist jetzt fast zum Ehrendänen verwandelt: Das Nervensystem eines solchen ist mit Sicherheit extrem empfindlich. Die Depression ist folglich natürlich, beinahe konstitutiv. Muss korrigiert und chemisch gedämpft werden. Keiner von ihnen sagt, dass er deprimiert ist vom Trinken, in dieser Reihenfolge, oder dass er wegen des Alkohols nicht schlafen kann. Im Gegenteil, seine Depression ist die Ursache seines Problems. Wie ist die Ehe? Sehr glücklich, versichert er, und das ist auch wahr. Mutterbindung? Und wie war es mit dem Stillen? Er weist alle psychoanalytischen Modelle
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