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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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Jungen und seine rote Katze, eine Pressekonferenz abgehalten.
    Er befand sich da noch in einer Welt von Hochachtung und Bewunderung, aber jetzt ist er ohne Zweifel in die Klapskiste eingesperrt, und in der Klapskiste wird er bleiben, weil seine Umgebung eingesehen hat, dass er dorthin gehört. Er schwitzt fürchterlich und beginnt in den frühen Morgenstunden den einsetzenden Entzug zu spüren. Es ist, als läge man in einem Ameisenhaufen. Die Laken im Gynäkologenbett sind jetzt zu runden nassen Klumpen verschlungen, und am Morgen gegen sieben Uhr hat er nur noch 0,81 Promille.
    Er klagt dem Pfleger sein Leid, der immer noch behauptet, Ungar zu sein, und dieser sagt freundlich zu ihm, Denken Sie daran, dass Sie an einer sehr schweren chemischen Vergiftung leiden , aber das kann ihn nicht trösten.
    Pathetische Aufzeichnung am Montagmorgen:
    Ameisenhaufen im Körper, alle gehen in Gruppen, aber ich darf nicht, man geht davon aus, dass ich Entzugserscheinungen habe, mir bleiben im Augenblick nur Ameisenhaufen und Einsamkeit. Der Alkohol raus. Die Kinder. Die soziale Katastrophe.
    ›Einsamkeit‹. So weit ist es mit ihm gekommen. Sentimentalität von der schlimmsten Sorte, und völlig ungeschützt. Ihm nicht ähnlich. Schlechtes Schwedisch. Aber er weiß schon, dass es ihm nicht länger erlaubt sein wird, sich selbst zu ähneln.
    Am Montagmorgen entwickelt er jedoch wilde Aktivität, das Personal kann ihn nicht hindern, er ist entschlossen und will an der Morgenversammlung teilnehmen, die Morgengebet mit Lesung aus dem Großen Buch und Texten von AA beinhaltet. Weiß nicht, dass er zivile Kleidung tragen und angekleidet sein soll. Kommt im blauen Schlafanzug, steht im Ring, während die anderen auf ihren Stühlen sitzen, und lauscht verwirrt den rituellen Gebeten. Es beginnt mit einer Art Sündenbekenntnis, er wird aufgefordert zu sagen: Hej, ich heiße PO und bin Alkoholiker .
    Es ist wie beim Abendmahl.
    Nahm man teil, war es ein Akt des Bekennens, und bekannte man, doch nicht aufrichtigen Herzens, dann war es eine Todsünde. Hier sollst du ehrlich sagen, dass du zu den Verlorenen gehörst. Das aufrichtige Bekenntnis soll der Einstieg in die Sündenfreiheit sein. Er fühlt keine Sündenangst, nur Schrecken, und nimmt an, dass sein Herz aufrichtig, aber er aus dem Gleichgewicht ist. Wäre er zum Beispiel nach Norilsk deportiert, würde sicher die schwedische Regierung zu seinen Gunsten eingreifen! Er ist doch ein bekannter Autor!
    Oder erinnert er sich falsch.
    Er ist falsch gekleidet, alles falsch, steht wie ein Schaf im Schlafanzug da, und die Kameraden starren ihn verblüfft an, ein Bild des totalen Sündenfalls. Ich bin ein aus meinem normalen Leben gestürzter Engel, denkt er, aber er irrt sich ja.
    Er ist in die Deutlichkeit der Hölle seines normalen Lebens gestürzt. Das Kind ist interniert und kann sich nicht herausreden. Sich nicht herausbeten, nicht um Verzeihung bitten, eingesperrt.
    Einzelne Wörter werden aufgezeichnet: Erwachen, Entschuldigungen, Aggressivität, Gynäkologenbett .
    Noch nichts in dem kleinen Notizblock über die anderen, die fünfzehn Kameraden, die ihn fragend und schweigend betrachten; und er weiß noch nicht, dass sie seine Kameraden sind und dass er sie lieben wird und dass er jetzt zu dem untersten Kreis abgestiegen ist, dem, wo auch sie sich befinden; und ohne sie wird er nicht überleben.
    Das Kind ist interniert. Er wird ins Gynäkologenbett beordert, um auszuruhen, aber er sinkt nicht mehr, er befindet sich im freien Fall.

Eine Sache ist die in seinen eigenen Augen außerordentliche Klarsicht , die ihm so viele Jahre hindurch geholfen hat, alles zu durchschauen, und es ihm ermöglicht hat, weiterzusaufen, ohne seine intellektuelle Selbstachtung zu verlieren. Aber der kleine schreiende Mensch darunter, der behauptet, trotzdem eine Art Mensch zu sein ?
    Es kommt jetzt zu einem persönlichen Problem, oder eher zu für ihn kollidierenden Einsichten, als er vor die Minnesota-Behandlung gestellt wird. Man wird ihn brechen, so dass er die tiefste Schicht von Einsicht erlangt, die er jedoch schon zu besitzen glaubt. Die Einsicht ist ja der Schutzpanzer gewesen, der es ihm erlaubt hat weiterzusaufen.
    Aber niemand hat ihm beibringen können, wie man aufhört zu saufen.
    Die Behandlung läuft kurz gesagt darauf hinaus, den Widerstand der Insassen im Laufe von vier bis fünf Wochen systematisch zu brechen und sie zu erniedrigen, so dass ihre Lügen und Verteidigungsmechanismen zerstört

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