Ein Bär im Betstuhl
der Bär ließ alles stehen und liegen, rannte brüllend auf dem Deck herum und beruhigte sich erst, als Pastor Huuskonen herbeieilte.
Auf der Kommandobrücke ertönte erst die Sirene und dann die Durchsage des Kapitäns:
»Hier ist die Oihonna, wir legen in einer Stunde im Passagierhafen an!«
Diese Worte brüllte der Kapitän in vielen verschiede nen Sprachen auf die Brücke, auch in einigen Dialekten.
Der Verkehr auf der Atatürk-Brücke war zum Erliegen gekommen, und der Grund war ein Crash, in den eine Strohkarre verwickelt war, die von einem Esel gezogen wurde. Von oben war ein Riesenspektakel zu hören. Menschen beugten sich über das Geländer, schrien und gestikulierten, aber daraus konnte man sich kein ver nünftiges Bild machen, und bald war das Schiff auch schon zu weit weg. Der Passagierhafen von Istanbul war einer der größten der Region, dort herrschte mächtiger Betrieb, und die Oihonna nahm fast hundert neue Pas sagiere auf. Es waren fast alles Händler, die ins Mittel meer wollten, zunächst nach Zypern und von dort even tuell noch weiter. Unter den neuen Passagieren war auch eine kleine Gruppe bosnischer Kriegsflüchtlinge, die sich über ihr Ziel selbst noch nicht im Klaren waren. Der Kapitän nahm sie an Bord, ohne nach ihren Papie ren zu fragen. Er war der Meinung, dass ein Passagier schiff zum Reisen da war, egal, was die Menschen je weils umtrieb.
Gegen Abend kam ein Eselskarren in den Hafen gerat tert, gelenkt von einem alten Mann, er fuhr dicht an die Oihonna heran, als wäre er ein wichtiger Lieferant. Es zeigte sich, dass er in den Verkehrsunfall auf der Ata-türk-Brücke verwickelt gewesen war. Der Alte band seinen Esel am Poller fest und kam an Bord, um mit dem Kapitän über die Rückgabe der Strohballen zu verhandeln.
Kapitän O’Connor bot dem Alten Tee an und erkun digte sich nach dem Unfall. Zum Glück war nichts Schlimmes passiert, irgendein Depp war mitten auf der Brücke in die Strohkarre des Alten gefahren, und dabei waren einige Ballen über das Geländer ins Wasser gefal len, oder vielmehr glücklicherweise auf das Deck der Oihonna, die gerade unten vorbeifuhr.
»Sie sollten die Dinger besser befestigen«, sagte der Kapitän tadelnd. Dann befahl er den Deckleuten, die Strohballen auf den Eselskarren zu laden.
Als der Alte weg war, tauchten überraschend Journa listen auf. Sie hatten den Hinweis bekommen, dass auf dem Schiff ein frommer Bär mitfuhr, der sich auch als Barkeeper betätigte, im Nachtklub auftrat und bei den Gottesdiensten half. In Istanbul verbreitete sich Klatsch offenbar in Windeseile.
Pastor Huuskonen erklärte sich bereit, zusammen mit dem Bären eine kurze Schauandacht zu halten, die die Türken in großes Erstaunen versetzte. Blitzlicht zuckte, und Huuskonen wurde interviewt. Er hatte im Laufe des
Tages einiges an Bier und Wein getrunken, sodass er in Plauderstimmung war und mit seiner Meinung zu religi ösen Fragen nicht hinter dem Berg hielt.
Istanbul lockte zum Verweilen, aber ein Passagier schiff war nicht dazu da, im Hafen zu liegen. Die Tage wurden heiß, sogar auf dem Meer war die Luft manch mal erstickend. Oft fand Huuskonen nachts keinen Schlaf, sondern lief allein auf dem Deck herum und betrachtete das silberne Kielwasser, das hinter der Oihonna schäumte. In einer dieser Nächte, als der Halbmond vom Himmel des Marmarameeres herab schien, kam auch Kapitän O’Connor aufs Deck. Er fühlte sich ebenfalls einsam und wollte ein wenig mit dem Pastor plaudern.
O’Connor erzählte bedächtig von den Iren und ihrer Geschichte, zum Beispiel von der schrecklichen Kartof felpest, die im vergangenen Jahrhundert eine Hungers-not im Land ausgelöst hatte.
»Das kommt davon, wenn man bloß Kartoffeln isst, wenn ein ganzes Volk nichts anderes kennt«, knurrte der Kapitän. Er lobte seinen Urgroßvater als weitsichti gen Mann, denn der hatte schon zu jener Zeit eine Ree derei gegründet, deren letztes Schiff nun dieser alte rostige Kahn, die Oihonna, war.
»Der Alte hat das ganze irische Volk, alle Überleben den also, auf Schiffe geladen und ist mit ihnen nach Amerika gesegelt.«
»Doch wohl nicht das ganze Volk«, wagte der Pastor zu bezweifeln.
»Aber jedenfalls das halbe, viele Millionen Iren. Ich stamme aus einer alten Reederfamilie, nur leider macht sich diese Branche heute nicht mehr bezahlt. Die Grie chen und Italiener drücken die Preise, und sie haben die besseren Schiffe.«
Pastor Huuskonen
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