Ein Ballnachtstraum
berüchtigten Frauenhelden geworden war?
Zu ihrem Leidwesen ließ die Antwort nicht lange auf sich warten. Sobald sie auf einem harten Stuhl an der Wand Platz genommen hatte, wurde sie von den anwesenden Damen neugierig angegafft.
„Guten Abend, die Damen“, grüßte Eloise und richtete den Blick auf das Tanzparkett, wo die strahlende Thalia bereits mit ihrem Verlobten tanzte. Lord Thornton hatte sich vermutlich auf die Suche nach einer willigen Braut gemacht, die ihn aus seinen Nöten retten sollte. „Hatten Sie einen angenehmen Aufenthalt in Sussex, Mrs. Burton?“, fragte Eloise eine der älteren Matronen höflich.
Die teiggesichtige Dame lächelte maliziös. „Gewiss nicht so angenehm wie Ihr Aufenthalt in London in letzter Zeit, wie ich höre.“
Die anderen Damen tuschelten aufgeregt hinter vorgehaltenen Fächern. Eloise beschloss, die gehässige Bemerkung auf die leichte Schulter zu nehmen. „Nun ja, man sollte nicht alles glauben, was man hört.“
Eine jüngere Gouvernante neben Eloise murmelte: „Wenn wir nur die Hälfte von dem glaubten, was über Sie im Umlauf ist, wäre das skandalös genug.“
Eloise presste die Lippen aufeinander. Nimm es gelassen!, ermahnte sie sich. Nur weil sie in deren Augen ein gefallenes Mädchen war, bedeutete das noch lange nicht, dass sie sich vor den im Leben zu kurz gekommenen Frauen schämen musste. „Das Wetter ist ungewöhnlich milde für diese Jahreszeit, nicht wahr?“, wandte sie sich liebenswürdig an ihre Nachbarin.
Mrs. Burton kicherte. „Ich könnte mir denken, dass es für gewisse Leute in gewissen Gegenden der Stadt ungewöhnlich heiß war.“
Eloise setzte ein gekünsteltes Lächeln auf. „Wenn Ihnen das Wetter in London zu heiß ist, sollten Sie vielleicht in kühlere Regionen in den Norden reisen, meine Liebe.“
Die Damen wechselten bedeutsame Blicke. Sie gehörten zwar nicht wirklich dem vornehmen ton an, waren keine Gemahlinnen distinguierter Aristokraten, achteten aber innerhalb ihrer Gruppe penibel auf Sitte und Anstand. Eloises Entschluss, die Mätresse eines begehrenswerten Aristokraten zu werden und in den Genuss des damit verbundenen Reichtums und Luxuslebens zu gelangen, rief nicht nur ihre Kritik hervor, sondern weckte auch Neid und Missgunst. Noch mehr Anstoß hätten sie allerdings genommen, wenn Eloise über ihren Stand geheiratet hätte. Es war zwar eigentlich undenkbar, dass ihr Gönner sie heiraten und sie dadurch wieder zu einer achtbaren Frau machen würde, aber bisweilen geschahen solche Dinge. Boscastle verfügte jedenfalls über die finanziellen Mittel, Eloise ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen, selbst wenn er sie verstoßen würde, nachdem seine anfängliche Leidenschaft für sie abgeflaut war. Liebe und Leidenschaft waren nun mal vergänglich.
Mary Weston, mit der Eloise sich angefreundet hatte, drückte ihr heimlich die Hand. Mary, Mitte dreißig, die seit vielen Jahren als Gouvernante arbeitete, war eine warmherzige und sanftmütige Frau. „Sie sind nur eifersüchtig, Eloise“, flüsterte sie ihr zu. „Mach dir nichts draus, was sie über dich reden.“
Mrs. Burton räusperte sich vernehmlich. „Eifersüchtig? Entsetzt und abgestoßen sind wir. Was soll die Ärmste denn tun, wenn ihr Gönner ihrer überdrüssig wird? Keine achtbare Familie wird sie bei sich anstellen. Schon gar nicht als Erzieherin in einer gewissen vornehmen Privatschule.“
Eloises mühsam bezähmter Unmut drohte überzukochen. Wie konnte die böse Hexe es wagen, die Schule von Lady Lyons zu erwähnen? Wie unfair! „Diesen Posten habe ich abgelehnt, Mrs. Burton.“
Die Frau lächelte hämisch. „Ihr Leichtsinn gerät mir zum Vorteil. Ich hatte ein vielversprechendes Gespräch mit Lady Lyons.“
Eloise hätte vielleicht etwas Unverzeihliches getan, wäre Drake nicht unvermutet in ihrem Blickfeld erschienen. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, Hitze durchströmte sie, als seine hohe Gestalt sich aus der Menge der Tanzenden löste.
Er repräsentierte das genaue Gegenteil des Mannes, zu dem eine sittsame wohlerzogene Frau sich hingezogen fühlen sollte. Die Verkörperung geheimster weiblicher Fantasien. Die Damen in ihrer Umgebung fächelten sich in erregter Empörung Luft zu. Oder unterlagen auch sie dem Bann seiner männlichen Ausstrahlung, ohne zu wagen, sich ihre Gefühle einzugestehen? War Eloise die Einzige, die hinter der Maske des sündigen Verführers noch etwas anderes wahrnahm? Vielleicht aber war sie nur das Opfer ihres
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