Ein Ballnachtstraum
können, dass Miss Eloise Goodwin dort unten in der Kutsche saß. Ein völlig abwegiger Gedanke, da eine sittsame junge Frau sich niemals auch nur in die Nähe eines solchen Etablissements wagen würde, schon gar nicht mitten in der Nacht. Es sei denn, gütiger Himmel, welch abseitige Vorstellung, die Dame führte ein geheimes Doppelleben. War es möglich, dass sie ihren mageren Lohn als eines von Audreys Mädchen aufbesserte? So etwas geschah natürlich, aber es wäre ein höchst seltsamer Zufall gewesen, dass er sie vor ein paar Stunden als bescheidene Gouvernante kennengelernt hatte, nur um festzustellen, dass sie nebenbei Geld als Liebesdienerin verdiente.
Maribella liebkoste mit ihren Fingern seinen Brustkorb und seine Arme. „Wieso habe ich das Gefühl, dass du nicht wirklich bei der Sache bist?“, flüsterte sie.
Wieder schüttelte er den Kopf. „Weil ich …“ Gedämpfte Stimmen im Flur, gefolgt von einem leisen, aber eindringlichen Klopfen an der Tür, unterbrachen ihn. „Weil ich draußen etwas höre“, sagte er und schob sanft ihre Hände von sich. „Ich habe strikte Anweisungen gegeben, nicht gestört zu werden, es sei denn im Notfall.“ Oder ein Krieg war ausgebrochen.
Die einzigen Menschen, die es wagten, ihn zu stören, waren seine Brüder. Und wenn es sich nicht wirklich um einen Notfall handelte, würden Köpfe rollen. Er warf noch einen Blick aus dem Fenster, doch die Frau hatte sich ins Wageninnere zurückgezogen oder war ins Haus geeilt.
Mit einem entschuldigenden Lächeln begab er sich zur Tür. Maribella räkelte sich bereits wieder auf dem Baldachinbett, halb verborgen hinter den Vorhängen, das Traumbild einer sündigen Verführerin.
Drake öffnete die Tür einen Spalt. „Wer wagt es, mich zu stören? Was ist los? Du?“
Sein Vetter Gabriel stand im Flur mit einem unverfrorenen Grinsen im markanten sonnengebräunten Gesicht. Hinter ihm befanden sich händeringend Audrey Watson und zwei von Maribellas grimmigen Leibwächtern mit geballten Fäusten, sprungbereit, den Störenfried auf ein Fingerschnipsen ihrer Herrin gewaltsam zu entfernen.
„Was zum Teufel hast du hier verloren, Gabriel?“, fragte Drake finster.
Audrey drängte sich an den Leibwächtern vorbei. „Was sollte ich tun? Er behauptete, es handle sich um einen Notfall. Und er gehört zur Familie.“
„Das ist keine Entschuldigung“, knurrte Drake und bemerkte, wie Gabriel sich den Hals verrenkte, um einen Blick ins Zimmer zu werfen. Er straffte die breiten Schultern und verstellte ihm die Sicht. „Hoffentlich hast du eine plausible Erklärung, Gabriel.“
„Komme ich ungelegen?“, fragte er unschuldig. „Lässt du mich eintreten, damit ich mit dir unter vier Augen sprechen kann? Es muss ja nicht jeder wissen, was ich dir zu sagen habe.“
Drakes Gesicht verdunkelte sich bedrohlich. „Soll ich dir meine Faust ins Gesicht schlagen? Es wäre nicht das erste Mal, wenn ich mich recht entsinne.“
„Mittlerweile bin ich erwachsen“, entgegnete Gabriel liebenswürdig. „Ich finde wirklich, du solltest mich …“
Audrey fiel ihm ins Wort. „Ich dulde keinen Streit in meinem Haus, das gilt für den Prinzregenten ebenso wie für die Boscastles. Als Nächstes duelliert ihr euch noch, was dem Ruf meines Hauses sehr schaden würde.“
„Wir tragen bereits ein Duell aus“, erklärte Drake grollend. „Und nach diesem Auftritt jage ich ihm vermutlich eine Kugel durch den Kopf.“
Audrey flüsterte bang: „Doch nicht wegen Maribella?“
„Nein“, antwortete Drake, „wegen eines Mannes.“
„Ein …“
Gabriel hob die Hände, wie um sich zu ergeben. „Deshalb bin ich hier“, murmelte er so leise, dass nur Drake ihn hören konnte. „Ich suchte Thornton in seinem Haus auf, um ihn zu einer offiziellen Entschuldigung zu bewegen, damit ich nicht gezwungen bin, ihn morgen zu erschießen. Aber er ist verschwunden und seine Schwester gleichfalls.“
„Was zum Teufel geht mich das an?“, wollte Drake empört wissen.
„Eigentlich nichts. Aber Thalias Gouvernante sitzt in der Klemme und bat mich inständig, dich zu suchen.“
„Wie du siehst, bin ich beschäftigt“, erklärte Drake abweisend, im Wissen, dass Maribella sich erhoben hatte und ihn mit finsteren Blicken durchbohrte. Und Gabriel gaffte sie mit großen Augen und offenem Mund an. „Richte ihr aus, ich besuche sie morgen.“
Drake starrte seinen Cousin für einen Moment geistesabwesend an. Es war also doch kein Trugbild gewesen. Er hatte ihr
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