Ein Ballnachtstraum
seine schmutzigen Hemdsärmel hochkrempelte.
„Ja, tu das.“ Eloise drückte ihm den Besen wieder in die Hand. „Wenn du ihn nicht als Waffe einsetzen kannst, kannst du wenigstens die Straße hinter Lord Drake fegen.“
„Gut, dass er bei Ihnen war, Miss“, meinte Freddie. „Einen Mann wie ihn brauchen Sie dringend zu Ihrem Schutz.“
„Wovor soll er mich denn beschützen?“, murmelte sie.
Hinter ihr wurde Mrs. Barnes vom Butler gestützt, die einen ihrer Schwächeanfälle erlitt und sich auf dem Gehsteig niedergelassen hatte. Die heruntergerutschten Strümpfe hingen um ihre geschwollenen Knöchel. Als Drake Boscastles Mätresse, dachte Eloise für einen Moment, könnte sie die Dienstboten bei sich aufnehmen, niemand würde auf der Straße stehen, und Mrs. Barnes könnte endlich ihre schmerzenden Beine hochlegen.
Drake würde ihr eine Kutsche zur Verfügung stellen. Sie müsste sich nie wieder Sorgen darum machen, dass die Geldeintreiber ihr den Stuhl unter dem Hintern wegzogen, weil ihr Dienstherr seine Schulden nicht beglichen hatte. Statt sich hinter dem Vorhang zu verstecken, wenn es an der Tür klopfte, würde sie Hof halten und vornehme Abendgesellschaften geben, wie es von der Mätresse eines Aristokraten erwartet wurde.
Oh Herr, führe mich nicht in Versuchung.
Damit würde sie allerdings auch jede Chance vertun, sich eine eigene gesicherte Existenz zu schaffen. Zugegeben, sie würde hart arbeiten müssen als Erzieherin, um verwöhnten jungen Damen gute Manieren und feine Lebensart beizubringen und sie vor den Gefahren des Lebens zu warnen.
Andererseits wäre sie Herrin über ihr eigenes Schicksal, könnte ihre Würde bewahren, für die sie so viele Opfer gebracht, hatte. So könnte sie sich beweisen, dass sie nicht das schwarze Schaf war, das ihre Familie mit Schimpf und Schande aus dem Haus gejagt hatte. Sie wünschte, es wäre ihr gleichgültig, was ihre Eltern von ihr hielten. Sie wünschte, die Kränkung über die Zurückweisung ihrer Eltern würde endlich schwinden.
„El-ooo-iiise!“, ertönte Thalias weinerliche Stimme aus dem Garten. „Was haben Sie da draußen auf der Straße zu tun? Ich brauche Sie. Haben Sie mich völlig vergessen?“
Seufzend schüttelte Eloise den Kopf und warf einen letzten Blick die Straße entlang auf der Suche nach dem Mann, der ihr ein höchst anstößiges Angebot gemacht hatte.
Noch dazu ein höchst verlockendes Angebot.
Erst nach langer Verfolgungsjagd musste Drake einsehen, dass er den Kerl aus den Augen verloren hatte. Der Eindringling war im Labyrinth der Gassen und engen Durchgänge untergetaucht, die dem Gesindel der Londoner Unterwelt zahllose Schlupflöcher boten. Auf seiner Verfolgungsjagd hatte er mehrere Gemüsekarren umgeworfen sowie den Stand einer Spitzenklöpplerin, die ihn keifend mit wüsten Beschimpfungen bedachte. Irgendwann hatten sich zwei Konstabler, die Drake erkannten, an der Jagd beteiligt, die allerdings große Mühe hatten, Schritt mit ihm zu halten, und schließlich vor einer Schankstube durch eine Prügelei zweier Trunkenbolde aufgehalten wurden.
Hätte er in dem Mann nur einen Geldeintreiber vermutet, hätte er die Verfolgung längst aufgegeben. Aber welcher Gläubiger würde sich hinter einem Efeugestrüpp verstecken, um ein privates Zwiegespräch zu belauschen?
Im Übrigen war ihm etwas an dem Kerl vertraut vorgekommen. Er war ihm bereits begegnet, wusste nur nicht, wo.
Schließlich verlangsamte er seine Schritte und blieb stehen, um zu Atem zu kommen. Er war so verbissen hinter dem Mann her gewesen, dass er nicht bemerkt hatte, wohin ihn der Weg führte. Verblüfft stellte er fest, dass er in der Bruton Street vor Audrey Watsons Haus stand. Wieso ausgerechnet hier?
„Zum Teufel!“, knurrte er. Wie dem auch sei, er hatte seine Beute verloren. Aber er würde sein Gesicht wiedererkennen und ihn beim nächsten Mal nicht entwischen lassen. Dennoch wurmte es ihn gewaltig, unverrichteter Dinge zu Eloise zurückzukehren, um ihr zu gestehen, dass er versagt hatte. Es war ihm doch so sehr daran gelegen, einen guten Eindruck als ihr zukünftiger Beschützer zu machen.
Dieser Gedanke brachte ihn auf das Thema Maribella St. Ives. Wie sollte er ihr erklären, dass er nicht daran interessiert war, die Beziehung mit ihr weiterzuführen, in der Hoffnung, sie würde verstehen und ihm verzeihen.
Er verzog schmerzlich das Gesicht. Diese Hoffnung konnte er getrost begraben. Sie würde ihn mit wüsten Beschimpfungen bombardieren und
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