Ein Ballnachtstraum
seine Stimme wie ein melodisches Echo aus weiter Ferne. Die Lider waren ihr schwer geworden, eine wohlige Trägheit hatte sich in ihr ausgebreitet. Sie wollte die Augen nicht öffnen, um diesen Traum nicht zu beenden. Aber sie musste ihn beenden. Er konnte seinen Antrag nicht ernst meinen. Und sie konnte ihn nicht ernsthaft in Erwägung ziehen.
Hatte sie schon einen ähnlichen Antrag erhalten? Ja, zwei Mal. War sie je in Versuchung geraten, ihn anzunehmen? Nein, bisher nicht. Nun aber war die Vorstellung, die Mätresse dieses Mannes zu werden, so überwältigend verheißungsvoll; ihr Körper schien plötzlich eine eigene Sprache zu sprechen.
Drake Boscastle war gewiss daran gewöhnt, dass Damen derlei Angebote von ihm bedenkenlos und begeistert annahmen und stolz darauf waren. In lähmender Stummheit schlug sie die Augen auf und sah ihn an. Sein Gesicht wirkte angespannt, in seinen Augen glühte unverhohlenes Verlangen.
Sie fühlte sich wie eine Meerjungfrau, von der Brandung an eine fremde Küste gespült, aus ihrem Lebenselement gerissen, unfähig zu atmen und sich zu bewegen, um in die Geborgenheit ihrer gewohnten Welt zurückzukehren.
Ein entwaffnendes Lächeln umspielte seine Lippen. „Ich werde jede Sekunde meiner Bemühungen genießen, Sie zu überzeugen.“
Eloise versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. „Es wäre ratsam“, erklärte sie mit belegter Stimme, „Ihre Versuche an einem weniger öffentlichen Ort …“
„Keine Bewegung“, unterbrach er sie in einem warnenden Flüsterton, der ihr ein Frösteln über den Rücken jagte. Er spähte wachsam über ihre Schulter. „Wir werden beobachtet.“
„Von wem?“, hauchte sie bang.
Sein Gesicht war wie versteinert. Es war kaum denkbar, dass dies derselbe Mann war, der sie soeben geküsst hatte. „Das werde ich herausfinden.“
14. KAPITEL
Drake schnellte hoch und stürmte los. Eloise schaute ihm verdutzt nach, konnte sich nicht vorstellen, wer sich in dem verwilderten Garten verstecken mochte. Bisher waren ihr zwischen Disteln und Brennnesseln nur Mäuse und aufdringliche Geldeintreiber begegnet.
Ralph, schoss es ihr durch den Sinn. Lungerte Ralph etwa wieder herum, um Geld von ihr zu fordern? Erschrocken sprang sie auf. Sie musste unbedingt verhindern, dass die beiden einander begegneten. Es wäre schrecklich peinlich, Drake erklären zu müssen, wie sie sich an Ralph Hawkins für seinen Betrug gerächt hatte.
Hinter den wuchernden Efeuranken richtete sich ein schwarz gekleideter Mann aus seiner geduckten Lauerstellung auf und suchte das Weite. Drake hätte ihn mühelos eingeholt, hätte der Eindringling ihm nicht im letzten Moment eine Schubkarre in den Weg geschoben.
Und gleichzeitig schrie Eloise in höchster Not: „Warten Sie! Lassen Sie ihn laufen. Vielleicht ist er …“
Drake drehte sich um und stutzte. Auch der Eindringling warf einen flüchtigen Blick über die Schulter. Ein Fremder, nicht Ralph. Das war ihr erster Gedanke in namenloser Erleichterung. Sie hatte den Mann noch nie gesehen, groß und hager mit unerwartet angenehmen Gesichtszügen und breiten Schultern. Eloise blieb der Mund offen stehen, da Drake offenbar auf eine Erklärung von ihr wartete.
„Er könnte … Ihnen etwas antun.“
Er schaute sie vernichtend an.
Der Eindringling verzog das Gesicht zu einem Grinsen, bevor er rasch über die Gartentür kletterte und verschwand.
„Zum Teufel!“, knurrte Drake und nahm die Verfolgung wieder auf.
Eloise eilte ihm nach, drehte sich nur kurz um, als die Tür zur Küche aufflog und Lord Thorntons Dienstboten ins Freie stürmten, angeführt von Thalia im Morgenrock.
Freddie war als Erster bei Eloise und schwang drohend einen Besen wie ein Schwert über seinem Kopf. „Schon wieder Geldeintreiber, Miss Goodwin? Will man uns aus dem Haus werfen?“
Auch das stand demnächst zu befürchten, da der Mietvertrag bald auslaufen würde, sie wusste nur nicht das genaue Datum.
Eloise entwand ihm den Besenstiel. „Ich weiß nicht, wer der Kerl war, Freddie“, erklärte sie atemlos. „Lord Drake verfolgt ihn.“
Sie ging auf die Straße. Freddie kam hinter ihr her. „Die beiden haben sich anscheinend in Luft aufgelöst.“
Ein umgeworfener Karren und ein wutschnaubender Händler, der schimpfend seine Zwiebeln einsammelte, waren die einzigen Spuren der Verfolgungsjagd. Vorne an der Straßenecke rannte ein anderer Gemüsehändler einem Kohlkopf hinterher.
„Soll ich den beiden nachlaufen?“, fragte Freddie, der bereits
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