Ein Band aus Wasser
sah, wie sie nachdachte, fühlte ihre Unentschlossenheit. Während ich wartete, versuchte ich, meinen Atem zu beruhigen.
Schließlich – sie blickte immer noch unsicher drein – entzog sie mir ihre Hand und murmelte: » Warte einen Moment.« Sie drehte sich um und trat durch einen Vorhang aus Bambus, der die Tür hinter der Theke fast vollkommen verbarg.
Ich wartete. Niemand kam in den Laden. Die Luft war von Räucherwerk erfüllt, das mir in der Nase und im Hals kitzelte. Meine Augen hatten sich an die Beleuchtung gewöhnt, und doch schien alles immer noch ungewöhnlich trüb, als würde das Licht buchstäblich aus dem Raum herausgesogen werden. Mein Entsetzen hatte sich in eine leichtere, kaum kontrollierbare Panik verwandelt.
» Hallo.«
Die Stimme erklang hinter mir. Ich hatte niemanden in meiner Nähe gehört oder gespürt. Als ich herumwirbelte, stand ich einer anderen dunklen Frau gegenüber. Ich konnte ihre Gesichtszüge nicht erkennen, und es war, als läge ein dünner, unsichtbarer Schleier über ihrem Gesicht.
» Mama Loup sagt, du brauchst einen Zauber.«
Dann war das hier jedenfalls nicht Mama Loup. Meine Stimme versagte.
» Mein Name ist Carmela«, fuhr sie fort. Ich konnte ihren Akzent nicht einordnen, wusste nicht, ob sie schwarz oder weiß war oder von lateinamerikanischer Abstammung.
» Ich bin …«, fing ich automatisch an, dann hielt ich inne. Sollte ich einen Namen erfinden?
» Wonach suchst du?«
» Jemand hat meinen Vater umgebracht«, brachte ich mit Mühe hervor. Hier in diesem stillen Raum klangen meine Worte barsch und auf eine krasse Weise direkt. » Ich will Rache. Er ist ein Hexer. Ich will ihm seine Macht nehmen.«
Auf einmal kam mir das Ganze völlig unmöglich, völlig unglaublich vor. Was tat ich hier nur? Wer war ich? Das war doch gar nicht ich.
» Dann glaubst du also an Hexen?«
» Das muss ich wohl. Ich bin eine.« Oh Gott, war sie ein Bulle oder so was? Tat ich etwas Illegales? War das eine Falle? Holt mich hier raus!
» Und dieser Hexer hat dir Unrecht getan?«
» Er hat meinen Vater getötet. Ich will ihn zerstören.«
» Zerstören, aber nicht töten?«
Ihr die Unsterblichkeit der Treize zu erklären, wäre wohl zu weit gegangen.
» Es wäre schlimmer für ihn, seine Macht zu verlieren als zu sterben.«
» Ja«, murmelte die Frau und entfernte sich ein paar Schritte. » Das wäre es wohl für jeden Hexer.«
Langsam schritt sie durch den Laden, als würde sie das Ganze überdenken. Hin und wieder fühlte ich ihre dunklen Augen auf mir ruhen. Ich betete, dass nicht gleich eine Spezialeinheit der Polizei hier einfallen würde. Alles was ich wollte, war schreiend die Gasse runterzurennen, hinaus auf die offene Straße und in mein Auto. Bitte lass mich hier lebend rauskommen, betete ich, während ich den Atem anhielt.
» Ein Zauber, der ihm seine Kraft raubt, wäre schwarze Magie.«
Ach neeeein, dachte ich, während ein hysterisches Lachen in mir aufstieg.
» Sehr schwarze Magie«, fuhr die Frau fort. » Danach wird deine Seele für immer gebrandmarkt sein.«
» Er hat meinen Vater umgebracht.« Ich merkte, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis ich in Tränen ausbrach.
» Ich werde dir einen Zauber zeigen«, sagte die Frau. » Aber nur, wenn du wirklich fest entschlossen bist, dein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Es wird nicht einfach. Bist du auf Schmerzen vorbereitet? Auf Angst? Auf das Böse?«
In mir oder in ihm? » Ja«, antwortete ich bebend.
» Du wirst diese Hilfsmittel brauchen. Komm zurück, wenn du sie dir besorgt hast.«
Ein Zettel aus dickem grauem Papier schien sich wie aus dem Nichts zu materialisieren.
Mit zitternder Hand nahm ich ihn entgegen. » Okay«, hauchte ich.
» Geh nach Hause, kleines Mädchen«, sagte sie. » Und komm nicht zurück, ehe du nicht bereit bist.«
» Okay.« Ich nickte. Dann, ohne auf ein weiteres Wort von ihr zu warten, bahnte ich mir einen Weg durch das Halbdunkel zu der Fliegengittertür und dem grauen Lichtfleck, der nach draußen führte. Ich stürzte hinaus, riss mit Schwung die Tür auf und begann, die Gasse hinunterzurennen. Die Luft war schwer und unbewegt, aber doch sehr viel frischer und wirklicher als bei Mama Loup.
Was hatte ich getan?
Kapitel 8
Schon wieder verflucht
Marcel wünschte, die Gottesdienste würden noch immer auf Latein abgehalten. Wie viel majestätischer das gewesen war, wie viel geheimnisvoller, mehr göttlich als menschlich! Heutzutage sprach man nur noch
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