Ein Band aus Wasser
9
Thais
» Das Lokal wird dir gefallen«, sagte Kevin und tätschelte mir das Knie, während er einen anderen Gang einlegte.
» Gut – ich hab nämlich Hunger.« Ich blickte zu ihm hinüber, lächelte und versuchte, möglichst normal zu wirken. Es war eine bizarre Woche gewesen. Kevin hatte jeden Tag gefragt, ob wir uns nicht treffen könnten. Ich hatte ihn vermisst, doch er schien so weit weg vom Rest meines Lebens … Es gab so viel, was ich nicht mit ihm teilen konnte. Oder mit Clio oder Petra. Dass ich Carmelas Bekanntschaft gemacht und diesen Weg wirklich eingeschlagen hatte, lastete wie ein schwerer, dunkler Mantel auf mir, den ich nicht abstreifen konnte. Was würden Clio und Petra sagen, wenn sie Bescheid wüssten?
Ich blickte aus dem Fenster des Miata und sah, wie die langen Schatten der großen Eichen vorüberflogen. Es war heiß wie im Sommer, doch das Sonnenlicht, vor allem der Sonnenstand sah schon nach Herbst aus. Jeden Tag, wenn ich nach draußen trat, erwartete ich eine neue Frische in der Luft, und jeden Tag wurde ich enttäuscht. Zu Hause hätte ich jetzt schon Sweater getragen und in der Nacht eine Strickjacke.
» Keine Schule nächste Woche!« Kevin haute mit der Hand aufs Lenkrad. » Wie cool ist das denn!? Lass uns morgen zu Sylvie und Claude fahren und irgendwas unternehmen. Wir könnten uns ein Segelboot besorgen und auf dem See picknicken.«
» Klingt super«, erwiderte ich. Ich mochte den Gedanken, zur Abwechslung mal etwas ganz Legales und Normales zu tun. Mit Kevin war es, als würde ich einen Blick auf mein altes Leben erhaschen, in dem ich einfach nur ein normaler Teenager in einer normalen Stadt gewesen war. Doch es kam mir mehr und mehr vor, als würde ich ihn zurücklassen. Und letzte Nacht bei Mama Loup’s …
» Ist dir kalt?« Ein besorgter Ausdruck lag auf Kevins Gesicht. Er regulierte die Klimaanlage. » Du zitterst.«
» Nein, mir geht’s gut«, sagte ich. » Danke.«
» Aber … bist du okay? Er legte mir eine Hand auf den Schoß und verschränkte sie mit meiner, während er mit der anderen lenkte. Hin und wieder nahm er seine Hand weg, um zu schalten, und legte sie dann gleich wieder zurück. » Du wirkst irgendwie … abgelenkt.«
» Tut mir leid«, sagte ich. » Es war eine verrückte Woche. Ich habe nicht viel geschlafen und meine Großmutter scheint krank zu werden. Ich kann mich kaum konzentrieren. Entschuldige.«
» Das ist schon okay. Ich kenne solche verrückten Wochen.«
Tust du nicht, jede Wette, dachte ich.
» Kann ich dir irgendwie helfen?«
Er war wirklich der süßeste Typ, den ich je getroffen hatte. Mein Lächeln wurde breiter.
» Nein, es ist gut, genau so wie es ist. Wir holen uns bei Po-Boys ein paar Sandwiches und leihen uns einen Film aus – exakt, was ich brauche. Ein perfekter Freitagabend.«
Und ganz bestimmt ohne Hexen.
» Okay, aber wenn du sonst noch irgendetwas brauchst, sag Bescheid.«
» Danke – du bist ein Schatz.«
Mein Kosename für ihn zauberte ein Lächeln auf Kevins Gesicht. Er verließ die Magazine Street und fuhr Richtung Fluss. Die Häuser hier waren klein, aber überwiegend gepflegt. Kinder spielten im Freien und Hunde liefen bellend umher.
Für einen Moment hing ich meinen Gedanken nach. Diese kleinen Häuser standen in einem krassen Gegensatz zu denen, die ich gestern gesehen hatte. Gestern. Mein Erlebnis hatte mich bis ins Mark erschüttert. Ich hatte beschlossen, einen dunklen Weg einzuschlagen, der meine Seele laut Carmela für immer brandmarken würde. Und wenn Hexen von dunkel sprachen, dann meinten sie dunkel, richtig dunkel, diese ganze Gut-gegen-Böse-Sache eben. Eine Sache, die die Seele, nun ja, für immer zeichnen konnte.
War ich bereit dafür? Heute Morgen hatte ich mir im Botanika ein paar der Utensilien von Carmelas Liste besorgt. Der Verkäufer hatte auf den Haufen geguckt und mir dann forschend ins Gesicht geblickt, wie um abzuwägen, ob ich das Zeug auch wirklich kaufen durfte. Andere Dinge hatte ich mir heimlich, still und leise aus Nans Schrank im Arbeitszimmer besorgen können, wo ich eigentlich hätte lernen sollen.
Mir war den ganzen Tag komisch und irgendwie nicht gut gewesen. Jetzt wollte ich die Gelegenheit nutzen, mich endlich mal wieder normal und unschuldig zu fühlen.
» Wo fahren wir hin?«, fragte ich, weil ich nichts außer Wohnhäusern sah. Keine Spur von irgendwelchen Lokalen.
» Nur um die Ecke«, sagte Kevin. » Es ist eine ziemliche Klitsche, aber die machen da das
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