Ein Band aus Wasser
Alltagsenglisch, machte alles so langweilig und banal. Unmöglich, so den Ruhm und die furchterregende Allmacht des christlichen Gottes rüberzubringen.
Marcel zuckte zusammen. Er meinte, die Allmacht Gottes. Seines Gottes. Des einen Gottes.
Tief in seiner Seele hegte er immer noch Zweifel.
Die Kirche hier, die St. Louis Cathedral, die mitten auf dem Jackson Square stand, war hübsch. Er erinnerte sich noch daran, wie sie als dritte Kirche hier auf dieser Stelle in den Fünfzigerjahren des achtzehnten Jahrhunderts erbaut worden war. Noch immer wurden hier täglich Messen abgehalten, und sonntags drei Gottesdienste.
Die spärlich versammelte Kirchengemeinde bestand aus einer Handvoll alter Frauen mit schwarzen Schleiern, ein paar Touristen und zwei Nonnen in modernem Ornat. Alle standen und Marcel stellte sich zu ihnen. Die Leute öffneten ihre Gesangbücher. Das musste Marcel nicht. Schon vor Jahrzehnten hatte er alles, was im Gesangbuch und im Book of Common Prayer stand, verinnerlicht. An manchen Stellen hatte man den Text modernisiert, doch Marcel fand sich immer wieder in ihm zurecht. Der Priester und die Messdiener schritten durch das breite Mittelschiff und kündigten mit ihrem Gesang das Ende des Gottesdienstes an. Marcel trat hinter ihnen aus der Bank und ging hinaus in den Nachmittag, der bewölkt und um ungefähr dreizehn Grad kühler geworden war. Was bedeutete, dass es jetzt circa fünfundzwanzig Grad warm war. Willkommen im Oktober.
Marcel lief weiter, quer über den Jackson Square und ins Café du Monde. Da er schon Buße getan hatte, konnte er seiner Leidenschaft für Kaffee und Donuts heute getrost nachgeben – eine dumme, kindische Gaumenfreude. Und völlig unbedeutend im Vergleich zu einem ganzen Leben, das man im christlichen Höllenfeuer schmorte.
Er stand auf der Terrasse und sah sich nach einem freien Tisch um, als er hörte, wie jemand seinen Namen rief.
» Marcel!« Als er zur Seite sah, spürte er, wie sich sein Magen zusammenzog. Claire und Jules. Jules und dessen ruhige Würde hatte er immer gemocht.
Doch was Jules in Claire sah, würde Marcel nie verstehen.
Es gab kein Entrinnen, sie hatten ihn gesehen und winkten ihn zu sich.
» Hallo«, sagte er steif, zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich. Eine kleine vietnamesische Kellnerin eilte herbei. Er gab seine Bestellung auf.
Claire biss von ihrem Donut ab und ließ es Puderzucker regnen. Ein Kellner brachte Marcel einen Kaffee und ebenfalls drei Donuts. Er atmete den intensiven Duft des mit Zichorie verfeinerten und mit kochender Milch zubereiteten Kaffees tief ein. Des besten überhaupt.
» Also, Marcel«, sagte Claire immer noch kauend. » Sieht aus, als hätte der Himmel dich wieder ausgespuckt, was?«
Jules hielt im Kauen inne und richtete seine dunklen Augen auf sie.
Auch Marcel war wie erstarrt. Typisch Claire, der Elefant im Porzellanladen. Statt einer Antwort blies er in seinen Kaffee und trank einen Schluck.
» Ich meine ja nur«, sagte Claire. » Was hast du dir denn dabei gedacht? Himmel, wenn ein einfaches Messer im Herzen reichen würde, meinst du, ich hätte mich dann nicht schon längst verabschiedet?«
» Claire.« Jules runzelte die Stirn.
Sie sah ihn ungeduldig an. » Ach komm schon, du weißt doch, dass es stimmt. Und ich bin nicht die Einzige, die so denkt.« Sie wandte sich wieder an Marcel: » Wieso hast du gedacht, dass das funktionieren würde?«
Wieder senkte sich eine schwarze schwere Traurigkeit auf Marcel. Dort, wo das Messer ihn durchstoßen hatte, schmerzte seine Brust immer noch. Er war so voller Hoffnung gewesen, bereit zu sterben. Herauszufinden, dass er dazu verdammt war, weiter für wer-weiß-wie-lange auf dieser Erde zu wandeln, war …
» Durch die Kraft des Ritus, dachte ich«, brachte er mühsam hervor. Um nicht noch mehr zu sagen, biss er in seinen Donut. Näher würde er dem Himmel wahrscheinlich nicht mehr kommen.
» Nun, so leicht geht das nicht«, sagte Claire. » Dieser Bastard hat uns wie verdammte Marionetten für seine tolle, magische Show hierher gezerrt, und dann ist er überrascht, wenn, oh Wunder, nicht alle voll und ganz kooperieren. Der Idiot.«
Über den Rand seiner schweren Porzellantasse hinweg warf Marcel Jules einen Blick zu. Jules war Daedalus’ ältester Vertrauter. Eine etwas ungewöhnliche Allianz, doch die beiden waren, wie Marcel wusste, ungefähr zweihundert Jahre lang immer wieder zusammen gereist und hatten gemeinsam magische Studien
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