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Ein Band aus Wasser

Ein Band aus Wasser

Titel: Ein Band aus Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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sehr du Marcel geliebt hast.«
    Es war totenstill in der kleinen Küche. Draußen brüllte jemand vor Lachen, eine Hupe quäkte. Sophie hatte das Gefühl, weit weg zu sein. Weit weg von der unaufgeräumten Küche, wo sich Teller im Ausguss stapelten, wo Minou von der Theke heruntersprang, um mit den Pfoten im Müll zu scharren. Sie starrte auf Manons kleines, herzförmiges Gesicht und verspürte nur den einen verzweifelten Wunsch: dass sie sich verhört hatte, dass Manon das nicht gerade vor den anderen beiden gesagt hatte, dass sie Sophie nie so verraten würde …
    … wie Sophie sie in der Nacht des Ritus verraten hatte.
    Oh gute Göttin.
    Sophie presste sich eine Hand vor den Mund, als müsse sie sich übergeben.
    » Waaaas?«, fragte Axelle fasziniert. Ihre schwarzen Augen flogen von Manon zu Marcel zu Sophie.
    Sophie konnte sich nicht bewegen, konnte nicht glauben, dass das gerade wirklich passierte. Sie tat ein paar schnelle, flache Atemzüge und nahm Axelle und Marcel nur noch an den Rändern ihres Gesichtsfelds wahr. Ihre Augen waren auf Manons trauriges, wütendes, beschämtes, triumphierendes Gesicht gerichtet.
    » Äh …« Marcel klang schockiert.
    Was tat er da?, fragte sich Sophie hysterisch. Dachte er jetzt etwa über die letzten 250 Jahre nach und suchte nach Hinweisen?
    » Mein Gott«, sagte Axelle sanft. » Und niemand von uns hat es je gewusst. Nur Manon.«
    » Ich muss gehen«, stieß Sophie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Sie drehte sich um und stolperte blind zur Tür. In ihrer Tasche klimperten die Autoschlüssel. Sie hatte keine Ahnung, wo sie ihren Geldbeutel gelassen hatte, aber das war unwichtig. Nichts war mehr wichtig. Hektisch fingerte sie an den Schlössern herum, riss die Tür auf und rannte hinunter in den Hof. Der Bewegungsmelder schlug an, ein greller Lichtstrahl richtete sich auf sie. Sophie hielt sich die Hand über die Augen und eilte die steinerne Auffahrt entlang. Sie versuchte sich zu erinnern, wo sie geparkt hatte, doch ihr Kopf war vollkommen leer. Stattdessen hetzte sie einen Block hinunter, dann den nächsten, ohne zu wissen, wohin sie lief, und ohne sich darum zu kümmern.
    Sie konnte nicht glauben, dass Manon ihr das angetan hatte. Was für eine Vergeltung. Nun wusste Marcel Bescheid. Und Manon konnte ihnen noch mehr Details verraten, Details, die Sophie ihr vor mehr als hundert Jahren anvertraut hatte, zu Beginn ihrer Beziehung.
    Sophie hatte nie gewollt, dass Marcel davon erfuhr. Sie hätte gerne noch hundert Jahre so weitergemacht, ohne dass er davon Wind bekam. Endlich sank sie gegen eine alte backsteinerne Mauer, mit Kletterrosen überwachsen, die sich bis zum Gehweg hin rankten. Sophie drückte ihr Gesicht gegen die stumpfen orangefarbenen Ziegel und schluchzte.
    Mehr als alles andere bedeutete dies, dass es zwischen ihr und Manon aus und vorbei war.

Kapitel 12
    Clio
    Letztes Jahr war ich um diese Zeit mit drei verschiedenen Jungs ausgegangen, darunter ein zweiundzwanzigjähriger Anwaltsgehilfe, den ich im Amedeo’s kennengelernt hatte. Jeder Freitag- und Samstagabend war ausgebucht gewesen und ich so beschäftigt, dass ich kaum Zeit zum Luftholen gehabt hatte.
    Tja, und schaut mich jetzt an: Die einzige Romanze, die ich in den letzten drei Monaten gehabt hatte, war in ein erniedrigendes Desaster gemündet. Ansonsten hatte ich mich auf gelegentliche, wilde Knutschereien mit Richard eingelassen, den ich eigentlich gar nicht mochte und der mich ebenfalls nicht mochte.
    Und nun stand ich hier an einem Samstagmorgen auf einem Friedhof mit einem Mann, der alt genug war, um mein Großvater zu sein, mein Hundert-Mal-›Ur‹-Großvater. Und doch schien dies viel wichtiger, als ständig von einer Party zur nächsten zu flattern, wobei mir das wohl kaum jemand abkaufen würde.
    » Okay, zerfällt die ganze Welt in leblosen Staub, wenn ich das jetzt tue, oder was?« Ich klang mürrisch, wahrscheinlich, um meine Furcht und meine Abscheu zu verbergen. Das letzte Mal, als ich diesen Zauber angewandt hatte, war ein wunderschöner Kristall in meiner Hand zu Staub geworden und hatte sich schrecklich tot angefühlt, weil ich ihm seine Lebenskraft geraubt hatte, oder wie auch immer man das nennen sollte. Seine Energie. Sein Chi. Man sollte meinen, ein Kristall sei schon ziemlich tot, und klar, er war nicht so lebendig wie ein Eichhörnchen, ein Highschoolanfänger oder eine Amöbe. Doch magisch gesehen, gab es einen großen, bemerkenswerten, ja greifbaren Unterschied

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